Vermählung um Mitternacht
rasch hinter sich geschoben, als Burroughs hereingekommen war und den Herzog angekündigt hatte. Sie vermutete, dass er sich geschämt hatte, dabei ertappt zu werden, wie er seine Frau küsste. Julia wollte sich nicht eingestehen, wie sehr sie diese unbewusste Geste verletzt hatte. Sie rieb sich über die Lippen - sie konnte den Kuss noch immer spüren. Wie sollte sie ihm helfen, wenn er sie in eine solche Verwirrung stürzte, dass sie gar nicht mehr klar denken konnte?
Julia verdrängte diese Gedanken und versuchte die Frisur mit den wenigen verbliebenen Haarnadeln aufzustecken. Leicht war es nicht, aber ihr gelang ein einfaches Arrangement. Wenn sie sich beeilte, würde sie dem Reverend vor Einbruch der Dunkelheit noch einen Besuch abstatten können. Sie konnte es gar nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihm von den neuen Geldmitteln erzählte.
Hell und strahlend stand ihr die Idee mit der Manufaktur vor Augen. Die Vereinigung brauchte ein Gewerbe, das in der Gründung nicht zu schwierig und in der Ausübung nicht zu anstrengend war. Die meisten Frauen, die die »Vereinigung für Frauen in Not« unterstützten, wollten von milden Gaben nichts wissen. Alles, wonach sie trachteten, war, sich und ihre Familie auf ehrenhafte Weise zu versorgen.
Als Julia sich vorstellte, wie viele Frauen von Alecs Vermögen profitieren würden, besserte sich ihre Laune. »Nichts besänftigt ein unruhiges Herz mehr als das Gefühl, etwas geleistet zu haben«, sagte sie laut.
Sie wurde von einem Klopfen an der Tür aufgeschreckt. Bevor sie darauf reagieren konnte, lugte Mrs. Winston mit einem breiten Lächeln herein.
»Mit wem haben Sie denn eben geplaudert, Mylady?«
Julia wandte sich vom Spiegel ab und hoffte, die scharfsichtige Haushälterin würde die Spuren des Kusses nicht entdecken. »Ich habe nur, äh, vor mich hin gesungen.«
»Selbstgespräche haben Sie geführt, stimmt’s?« Die Haushälterin stieß die Tür weiter auf und kam mit ihrem Tablett herein. »Kein Wunder, wenn man bedenkt, was Sie in letzter Zeit alles mitgemacht haben. Hier bring ich Ihnen ein Tässchen Tee zur Beruhigung.«
»Oh, wie nett. Aber ich sollte wirklich wieder nach unten ...«
»Nein, nein, keine Aufregung. Ich hab Burroughs gesagt, er soll Sie bei den Herren entschuldigen, weil Sie jetzt ruhen müssen.« Mrs. Winston schenkte Julia ein mütterliches Lächeln und stellte das Tablett auf dem Tischchen am Kamin ab. »Johnston bringt Ihre Sachen hoch. Ich hab ihn angewiesen, er soll die Pakete ins Gästezimmer räumen ...«
»Aber...« Julia schaute sich in dem Raum um. Mit den dunkelblau gehaltenen Teppichen und Vorhängen wirkte er eindeutig männlich - natürlich war das Alecs Schlafzimmer. Und ebenso natürlich würde Alec wollen, dass sie im Gästezimmer wohnte, nicht hier. Sie fing den neugierigen Blick der Haushälterin auf und lief rot an. »Bestimmt ist es ein ganz reizendes Zimmer.«
Mrs. Winston runzelte die Stirn. »Nun, das würde ich nicht behaupten, im Ankleidezimmer kann man sich kaum umdrehen, so klein ist es. Nun ja, es wird schon gehen.«
Julia entdeckte, dass auf dem Tablett neben dem Teller mit Törtchen zwei hauchfeine Teetassen standen. Offensichtlich hoffte Mrs. Winston, auf einen Plausch eingeladen zu werden. Julia zügelte ihre Ungeduld. Die Vereinigung wartete, doch nun riefen ihre neuen Pflichten als Hausherrin. Sie zeigte auf das Tablett. »Die Törtchen sehen herrlich aus, Mrs. Winston. Vielleicht hätten Sie Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«
Die rosigen Wangen der Haushälterin liefen vor Freude rot an. »Wahrhaftig, das kommt ja überhaupt nicht infrage!«
Julia goss Tee ein und reichte die Tasse der Haushälterin. »Ich würde mich aber freuen - dann muss ich mich nicht mehr mit mir selbst unterhalten.«
Mrs. Winston strahlte über das ganze Gesicht. »Wenn Sie darauf bestehen.« Sie ließ sich auf das Sofa sinken und streckte mit einem behaglichen Seufzen die winzigen Füße aus. Die ganze Person war klein und kugelrund; sie erinnerte Julia an ein Brötchen, das frisch aus dem Ofen kam.
Julia setzte sich ihr gegenüber und erwiderte das warmherzige Lächeln. Alecs ererbte Dienstboten waren entzückend. Der mürrische Reitknecht Johnston hatte sie mit seinen düsteren Prophezeiungen zum Lachen gebracht, was ihr ein widerwilliges Lächeln eingebracht hatte. Er war bei weitem nicht so Furcht einflößend, wie er tat. Zu Burroughs fühlte sie sich schon allein deswegen hingezogen, weil er Alec
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