Vermählung um Mitternacht
wollen, dass die Gerüchte nur zu wahr sind.«
»Daraus mache ich ihm keinen Vorwurf«, erklärte Julia loyal. »Warum sollte er versuchen, einen Haufen alter Klatschbasen für sich einzunehmen, die nichts Besseres zu tun haben, als herumzusitzen und Unsinn weiterzuerzählen?«
In Mrs. Winstons Pausbacken erschienen zwei Grübchen. »Genau so jemanden wie Sie hat Master Alec gebraucht.«
»Ich tue mein Bestes«, versprach Julia. Kein Wunder, dass er so versessen darauf war, die vornehme Gesellschaft mit seinen Ausschweifungen vor den Kopf zu stoßen.
Die Uhr auf dem Kaminsims schlug klingend die Stunde. »Herrje! Wo ist nur die Zeit geblieben?« rief die Haushälterin aus. »Jetzt muss ich mich aber wieder meinen Pflichten widmen.«
»Natürlich.« Julia stellte ihre Tasse auf dem Tablett ab und erhob sich. »Ich glaube, ich gehe jetzt aus.« Wenn sie sich beeilte, würde sie es gerade noch schaffen, Reverend Ashton zu besuchen.
Mrs. Winston nahm das Tablett. »Sehr wohl, Mylady. Ich weise Johnston an, die Kutsche Vorfahren zu lassen.«
Julia schüttelte den Kopf. Alec hatte unter dem Klatsch schon genug zu leiden gehabt. Sie würde bei ihre Arbeit große Diskretion walten lassen und dafür sorgen, dass niemand etwas mitbekam. »Ich brauche die Kutsche nicht, ich rufe eine Droschke.«
»Himmel! Es schickt sich doch nicht für Sie, dass Sie in einer Droschke durch die Stadt fahren! Was würde Master Alec dazu sagen?«
»Ich bin wieder da, bevor er merkt, dass ich ausgegangen bin. Ich fahre nur rasch bei meiner Tante vorbei, um meine Habseligkeiten dort abzuholen.« Das stimmte sogar. Sie besaß so wenige Dinge, dass man sie im Handumdrehen in einer Hutschachtel verstauen konnte.
Zweifelnd verzog Mrs. Winston das Gesicht. »Ich meine ja immer noch, dass Sie mich Johnston rufen lassen sollten. Aber ich nehme an, dass Sie auch so zurechtkommen.« Sie stellte den leeren Teller auf ihr Tablett. »Wenigstens weiß ich, dass Sie nicht hungrig aus dem Haus gehen.«
10. KAPITEL
Julia zog ihre letzten Pennys heraus und drückte sie dem Droschkenkutscher in die ausgestreckte Hand. Von wegen reiche Frau.
Der Mann betrachtete die Münzen und verzog höhnisch die Lippen. »Es langt nicht.«
»Für die Strecke ist es durchaus angemessen.« Mit Mühe hielt sie ihre Schultern gerade. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, und sie sehnte sich nach ihrem Bett.
»Ich bin die ganze Fenders Road runtergefahren und ... «
»Und haben dazu einen großen Umweg genommen. Sie sind einfach an der Chattingham Street vorbeigefahren, ohne auch nur langsamer zu werden.« Sie zog ihr Retikül zu und hängte es sich über den Arm.
Resigniert verzog der Kutscher das schmutzige Gesicht, als er die fadenscheinige Tasche sah. »Verdammt will ich sein, wenn ich noch mal ’ne reiche Tante durch die Stadt kutschiere.«
»Ein großer Verlust für uns alle.« Julia schaute der schwankenden Droschke nach, bevor sie zum Haus ihrer Tante hinaufeilte. Die Sonne ging bereits unter, und die Schatten auf der vornehmen Straße wurden lang.
Ihr Besuch bei Reverend Ashton hatte länger als beabsichtigt gedauert. Sie hatte ihm von der unerwarteten Großzügigkeit eines »unbekannten Wohltäters« erzählt und von ihrer Idee, damit eine Manufaktur zu gründen. Sie hätte die Einladung auf eine Tasse Tee nicht annehmen sollen, aber er war so aufgeregt gewesen, dass sie es ihm einfach nicht hatte abschlagen können.
Sobald Julia gemerkt hatte, wie spät es geworden war, hatte sie die erstbeste Droschke angehalten und zu ihrer Tante fahren lassen. Sie musste die wenigen Sachen packen, an denen ihr Herz hing, und zum Hunterston House zurückkehren, ehe sie vermisst wurde.
Sie war zu Tode erschöpft, doch die Aufregung hielt sie aufrecht.
Es gab so viel zu tun, so viele gute Werke zu verrichten. Der Pfarrer wollte eine außerordentliche Versammlung der Vereinigung einberufen, auf der über die neuen Mittel beraten werden sollte. Es handelte sich dabei um lauter liebe, großzügige alte Männer, die sich ihrer wichtigen Aufgabe von ganzem Herzen verschrieben hatten. Julia war froh, dass sich keiner von ihnen in den vornehmen Kreisen bewegte, denen sie eigentlich angehörten, sonst wäre ihr Plan, anonym bleiben zu wollen, sicherlich gescheitert.
Lord Kennybrook, aktives Parlamentsmitglied, hatte dem Treiben der vornehmen Gesellschaft ganz entsagt, da er es für eine frivole Zeitverschwendung hielt. Und Mr. Tumbolton, ein bekannter Philosoph, der
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