Vermaehlung um Mitternacht
jeglicher Rest an Enttäuschung, den sie vielleicht verspüren mochte, weil er es doch nicht getan hatte.
Aufgemuntert von der Erkenntnis, dass sie ihm, was Charakter, Tugendhaftigkeit und Beredsamkeit anging, um Längen voraus war, stieg sie ins Bett. Dann blies sie die Kerze aus und vertrieb sich die Zeit bis zum Einschlafen damit, all die Fehler ihres verkommenen Gatten aufzuzählen.
22. KAPITEL
Erst eine Stunde später hörte sie draußen Alecs Schritte. Sein steter, vorsichtiger Gang verriet, dass er viel zu viel getrunken hatte.
„Das hätte er ins Testament aufnehmen sollen“, murmelte sie. „Wenn ich nächstes Mal die Bedingungen für eine Ehe aushandle, verbiete ich Streit und Alkohol.“
Seine Schritte kamen näher. Sie konnte sich vorstellen, wie er aussah, mit zerdrückter Krawatte und einer pechschwarzen Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel, während er nach dem Türknauf tastete. Doch seine Tür ging nicht auf. Stattdessen senkte sich bleierne Stille auf den Flur herab.
Julia schlug die Decke zurück und schlich zur Tür. Sie presste das Ohr dagegen und lauschte angestrengt nach irgendeinem Laut. Doch außer ihrem eigenen Herzschlag konnte sie nichts hören. Sekunden dehnten sich zu Minuten, bis Alec draußen schließlich einen leisen Fluch ausstieß - seine Stimme kam so nah von der anderen Seite der Tür, dass Julia mit wild klopfendem Herzen zurückwich -, zwei hastige Schritte tat und die Tür hinter sich zuknallte.
Julia ließ sich gegen die Tür sinken; die anfängliche Erleichterung wich rasch Enttäuschung und schließlich Ärger. „Wie rüde! Mitten in der Nacht mit den Türen zu schlagen! Rüde und unerträglich!“ Sie kehrte zum Bett zurück und setzte sich mit verschränkten Armen hin. „Er benimmt sich wirklich kindisch. Verzogen ist er, genau. Kein Wunder. Ein Einzelkind, das beim Großvater aufwächst und von einer Schar Dienstboten verwöhnt wird. Und als er erwachsen ist, sieht er aus wie ein Märchenprinz, mit diesen Augen und den Haaren und ..." Sie kniff die Augen zusammen und seufzte.
Es war einfach nicht gerecht. Hier saß sie, hellwach und voll aufgewühlter Emotionen, während er längst tief und fest schlief.
Nun, sie war die Tochter ihres Vaters. Niemand hielt sie wach, wenn sie das nicht wollte. Julia stürmte zu ihrer Tür, riss sie auf und marschierte über den Flur.
Gerade als sie die Hand hob, um heftig zu klopfen, ging Alecs Tür auf.
Mit unergründlichem Ausdruck guckte er auf sie hinab. Seine breiten Schultern füllten den Rahmen aus; seine schlanke, muskulöse Gestalt steckte in einem rubinroten Morgenmantel, der nur lose um seine schmalen Hüften gegürtet war. Sie versuchte den Umstand zu ignorieren, dass sie seine bloße Brust mit den sinnlichen dunklen Löckchen direkt vor der Nase hatte.
Sie versuchte es, scheiterte aber jämmerlich.
Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihrem Zopf und dann nach unten. Bei ihrer Hand hielt er inne.
Julia erkannte, dass sie die Faust immer noch zum Anklopfen erhoben hatte. Rasch verbarg sie sie hinter ihrem Rücken und reckte das Kinn. „Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass es ungezogen war, die Tür so zuzuschlagen.“
Er lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme. Sein Gesicht lag im Schatten. „Habe ich dich geweckt?“ Unverschämter Schuft. „Das hättest du, wenn ich geschlafen hätte.“
Er musterte sie intensiv, so dass sie meinte, seinen Blick fast spüren zu können. „Und da wolltest du dich beschweren kommen, und das nur im Nachthemd!“
Julia sah an sich hinab. Das Spitzennachthemd verbarg bemerkenswert wenig. „Oh. Ich hätte wohl erst meinen Morgenmantel anziehen sollen, aber daran habe ich gar nicht gedacht.“
Plötzlich dämmerte ihr, wie das Ganze auf ihn wirken musste -mitten in der Nacht an seine Tür zu klopfen und dabei nur ein durchsichtiges Hemd zu tragen.
Die Vorstellung erhitzte sie noch mehr. Sie verschränkte die Arme, um ihren Busen zu verbergen, und schaute ihn finster an. „Das ist auch mein Haus. Ich kann anziehen, was ich möchte. Ich wollte dir bloß sagen, dass ich dich rüde und ungezogen und ..." Sie verstummte, als sie bemerkte, wie sich seine Brustmuskeln anspannten, und fragte sich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn sie mit der Hand darüberfuhr.
Die traurige Wahrheit war, dass er attraktiv und begehrenswert war und sie sich so nach ihm verzehrte, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Bevor
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