Vermiss mein nicht
erwiderte ich trocken. »Komm schon, was wollen die mir denn tun? Mir vorwerfen, ich bin eine Hexe, und mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen?«
Bobby lächelte schwach. »Nein, das nicht, aber du willst ja auch nicht, dass sie dir das Leben schwermachen, oder?«
»Sie könnten mir mein Leben kaum schwerer machen. Ich lebe im Land der verlorenen Dinge. Wie grotesk ist das denn?« Müde rieb ich mir das Gesicht und brummte: »Wenn ich zurückkomme, brauche ich echt eine Therapie.«
Bobby räusperte sich. »Du kommst aber nicht zurück. Als Erstes musst du dir diesen Gedanken aus dem Kopf schlagen. Wenn du so was bei der Versammlung sagst, sorgst du jedenfalls gleich dafür, dass du Ärger kriegst.«
Ich winkte ab, denn das wollte ich nicht schon wieder hören.
»Vielleicht solltest du wieder Tagebuch schreiben. Ich hab den Eindruck, das hast du immer gern gemacht.«
»Woher weißt du, dass ich Tagebuch geschrieben habe?«
»Na ja, wegen dem Tagebuch in einer von den Kisten bei mir im Laden. Das hab ich am Fluss direkt hinter dem Haus gefunden. Dreckig und feucht, aber als ich gesehen habe, dass dein Name draufsteht, hab ich es gleich mitgenommen und mir viel Mühe gegeben, es wieder auf Vordermann zu bringen«, erzählte er stolz. Als ich keine Reaktion zeigte, fügte er schnell hinzu: »Ich hab’s aber nicht gelesen, das schwöre ich.« Ich sah ihm allerdings an, dass er log.
»Du musst mich mit jemandem verwechseln«, entgegnete ich und tat, als müsste ich gähnen. »Da war kein Tagebuch in der Schachtel.«
»Doch«, beharrte er und setzte sich auf. »Es war lila und …« Er vollendete den Satz nicht, wahrscheinlich weil er sich doch nicht mehr so genau daran erinnern konnte.
Ich zupfte einen losen Faden aus meinem Hosensaum.
Auf einmal schnippte er so laut mit den Fingern, dass ich vor Schreck in die Höhe fuhr und spürte, wie auch Wanda hinter der Couch zusammenzuckte. »Genau! Es war lila, so eine Art Wildleder, das in der Feuchtigkeit ziemlich gelitten hatte, aber ich hab es so gut wie möglich gereinigt. Wie gesagt hab ich nichts gelesen, aber die ersten paar Seiten hab ich aufgeschlagen, und da waren überall Herzchen reingekritzelt.« Er dachte wieder nach. »Sandy liebt …«
Ich zog heftiger an dem Faden.
»Gareth«, rief Bobby, korrigierte sich aber sofort. »Nein, es war nicht Gareth.«
Ich wickelte mir den Faden eng um den kleinen Finger und sah zu, wie das Blut sich staute.
»Gavin? Graham? Komm schon, Sandy, du erinnerst dich doch bestimmt. Es waren so viele Herzchen, den Typen kannst du gar nicht vergessen haben!« Er grübelte weiter, während ich den Faden immer weiterzerrte und immer enger um den Finger wickelte.
Da schnippte er erneut mit den Fingern. »Gregory! Das war es! Sandy liebt Gregory. Das stand überall. Jetzt fällt es dir bestimmt wieder ein.«
»Das war nicht in der Schachtel, Bobby«, sagte ich leise.
»Doch, war es wohl.«
Aber ich schüttelte den Kopf. »Ich hab mir alles angesehen, stundenlang. Da ist garantiert kein Tagebuch, daran würde ich mich erinnern«, beharrte ich.
Verwirrt und irritiert gab Bobby zurück: »Aber es war da, verdammt.«
Auf einmal schnappte Wanda hörbar nach Luft und kam hinter dem Sofa hervor.
»Was ist los mit dir?«, fragte ich, als ihr Kopf zwischen mir und Bobby auftauchte.
»Hast du schon wieder was verloren?«, flüsterte sie.
»Nein«, leugnete ich, bekam aber gleich wieder eine Gänsehaut.
»Ich verrat es auch niemand«, flüsterte sie mit großen Augen. »Versprochen!«
Schweigen trat ein, und ich fixierte den schwarzen Faden, der sich immer weiter aus dem Saum herausziehen ließ. Plötzlich und unerwartet hörte ich Bobby laut auflachen, so wunderschön und schallend wie noch nie.
»Danke, Bobby, die Lage ist alles andere als komisch.«
Aber Bobby antwortete nicht.
»Bobby«, sagte Wanda nur, und ihr kindlich bestürztes Flüstern jagte mir einen Schauder über den Rücken.
Da sah ich, dass Bobby totenbleich geworden war. Sein Mund stand offen, aber kein Laut kam heraus, als hätten die Worte im letzten Augenblick Angst bekommen und sich zurückgezogen. Tränen standen in seinen Augen, seine Unterlippe zitterte, und endlich begriff ich, dass das Lachen keineswegs aus seinem Mund gekommen war.
Es war von dort nach Hier geschwebt, vom Wind über die Baumwipfel getragen, und schließlich hier, mitten unter uns gelandet.
Während ich noch dabei war, das zu verdauen, wurde die Tür zum Wohnzimmer aufgerissen
Weitere Kostenlose Bücher