Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vermiss mein nicht

Vermiss mein nicht

Titel: Vermiss mein nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cecelia Ahern
Vom Netzwerk:
wollten sie gleich herabstoßen, um dann im letzten Moment doch lieber weiterzuschweben. Spottdrosseln ahmten gekonnt die Lieder der anderen Vögel nach, und statt auf Futtersuche zu gehen, beäugten sie misstrauisch die Dorfbewohner, die sich vor den riesigen Türen der Gemeinschaftshalle versammelten. Um mich herum spürte ich ähnliche Blicke, wachsam, abwartend, um sich gegebenenfalls auf mich zu stürzen.
    Die Flügeltüren öffneten sich, und die geschnitzten Menschen, die Schulter an Schulter gestanden hatten, wichen auseinander. Der Saal hatte sich verwandelt. Fast fühlte ich mich betrogen, dass so viel mehr in diesen vier Wänden steckte, als sich mir bei meinem letzten Aufenthalt offenbart hatte. Der Saal erinnerte mich an einen Menschen, den man für einen bescheidenen Dienstboten gehalten hat und der sich in eleganter Kleidung, aufrecht und stolz, in eine wahrhaft königliche Erscheinung verwandelt. Hunderte Sitzreihen erstreckten sich vor mir bis zur Bühne, deren rote Samtvorhänge noch immer von dicken Goldkordeln zur Seite gehalten wurden. Auf der Bühne saßen die Vertreter der verschiedenen Nationen, alle entsprechend gekleidet, einige in traditionellen Gewändern, andere in moderner Aufmachung. Da gab es dreiteilige Anzüge neben bestickten Dishdashs, perlenverzierte Jalabiyas, Seidenkimonos, Kippas, Turbane und Jilbab, Schmuck aus Perlen, Knochen, Gold und Silber, Frauen in kunstvoll gemusterten, mit mir leider unverständlichen Kisuaheli-Sprichwörtern bemalten Khanga und Männer im feinen koreanischen Hanbok. Es gab alles von indischen Khussa-Schuhen bis zu Jimmy Choo, Sandalen und Flip-Flops von Thousand Mile ebenso wie glänzende Lederhalbschuhe. Der Anblick war umwerfend, die Mischung eine Augenweide. Obwohl mir vor dem Abend graute, zückte ich meine Polaroidkamera und machte rasch ein spontanes Foto.
    »Hey!«, rief Bobby entsetzt und riss mir die Kamera aus der Hand. »Hör auf, den Film zu verschwenden!«
    »Verschwenden?«, konterte ich ebenso entsetzt. »Sieh dir das doch mal an!« Ich deutete auf die Bühne, wo die Repräsentanten unterschiedlichster Völker und Kulturen in all ihrer Pracht auf die Dorfbewohner herabschauten, die es ihrerseits gar nicht erwarten konnten, endlich Nachrichten aus ihrer alten Welt zu hören. Wir suchten uns Plätze in der Mitte des Auditoriums, damit ich nicht direkt in der Schusslinie war. Ziemlich weit vorn entdeckten wir Helena, die sich hektisch im Saal umsah, ob besorgt oder ängstlich, war nicht zu erkennen. In der Annahme, dass sie nach uns Ausschau hielt, winkte Bobby ihr zu. Ich konnte mich nicht rühren, sondern saß stocksteif da und spürte eine völlig neue Angst in mir, während sich der Saal rasch mit Menschen füllte, deren Lärm in meinen Ohren stetig zunahm. Als ich einen raschen Blick über die Schulter warf, sah ich, dass viele keinen Sitzplatz gefunden hatten und nun ganz hinten in der Halle die Ausgänge blockierten. Mit einem lauten Knall, der überall im Raum widerhallte, wurden die gigantischen Türen geschlossen, und der Krawall verstummte sofort. Dafür hörte ich jetzt den Atem des Mannes hinter mir und das Flüstern des Pärchens vor mir so laut wie über einen Lautsprecher. Mein Herz begann heftig zu pochen. Ich sah Bobby an, dessen Anblick mich nicht beruhigte. Im harschen Licht von oben konnte niemand sich verstecken, jede Reaktion, jede kleinste Gemütsregung wurde gnadenlos offenbart.
    Als die Türen sich schlossen und Ruhe einkehrte, war auch Helena gezwungen, ihren Platz einzunehmen. Ich gab mir alle Mühe, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich hier fern der Realität in einem albernen kleinen Land weilte, einer Ausgeburt meiner Phantasie, einem völlig unwichtigen, an den Haaren herbeigezogenen Traum. Aber gleichgültig, wie sehr ich mich zwickte und abzulenken versuchte, holte mich die Atmosphäre unweigerlich wieder ein und füllte mich mit dem unheimlichen Gefühl, dass hier alles ebenso real war wie das Klopfen meines Herzens.
    Eine Frau trabte mit einem Korb voller Kopfhörer den äußeren Gang entlang. Die Person, die am Rand saß, nahm eine Anzahl davon entgegen und reichte sie weiter wie den Klingelbeutel in der Kirche. Fragend sah ich Bobby an. Er zeigte mir, dass man die Kopfhörer in eine Steckdose im Vordersitz einstöpseln konnte, und setzte seine gleich auf, da auf der Bühne jetzt ein Mann ans Mikrofon trat und auf Japanisch zu reden begann. Natürlich verstand ich kein Wort, war aber so fasziniert,

Weitere Kostenlose Bücher