Vermiss mein nicht
Kater. Als ich vorsichtig unter dem Kissen hervorspähte, erhaschte ich einen Blick auf meine zerknitterte Polizeiuniform, die auf dem Boden lag. Ich hatte Spätschicht gehabt und war dann noch in der Kneipe gewesen. Ein bisschen zu lange offensichtlich, denn ich hatte keinerlei Erinnerung daran, wie ich nach Hause gekommen war. Endlich hörte das Klingeln auf, und ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, der leider noch eine ganze Weile in meinem Kopf widerhallte. Und dann ging es schon wieder los. Verzweifelt schnappte ich mir den Hörer und hielt ihn unter dem Kopfkissen ans Ohr.
»Hallo?«, krächzte ich.
»Happy birthday to yooooou, happy birthday to yoooou, happy birthday, liebe Sandy, happy birthday to yoooou.« Es war die Stimme meiner Mutter, so süß, als wäre sie im Kirchenchor.
»Hip hip?«
»Hurra!« Das war Dad.
»Hip hip?«
»Hurra!« Er blies mit einer Papiertröte ins Telefon, und ich entfernte den Hörer schnellstmöglich von meinem Ohr, indem ich den Arm so weit es ging aus dem Bett hängen ließ. Von unter meinem Kissen hörte ich sie noch jubeln, als ich schon wieder halb wegdöste.
»Herzlichen Glückwunsch zum einundzwanzigsten Geburtstag!«, rief Mum voller Stolz.
»Honey? Bist du noch da?«
Schlaftrunken hielt ich den Hörer wieder ans Ohr. »Ja, danke, Mum«, murmelte ich.
»Wir hätten so gern eine Party für dich gegeben«, meinte sie wehmütig. »Schließlich ist mein kleines Mädchen nicht jeden Tag einundzwanzig.«
»Doch, die nächsten dreihundertvierundsechzig Tage schon«, entgegnete ich müde. »Wir haben also noch jede Menge Zeit zum Feiern.«
»Ach du weißt doch, dass das nicht das Gleiche ist.«
»Du weißt aber, was ich von solchen Veranstaltungen halte«, erwiderte ich, auf die Party bezugnehmend.
»Ich weiß, ich weiß. Du sollst deinen Tag ja genießen. Hast du Lust, zum Essen vorbeizukommen? Vielleicht am Wochenende? Wir könnten einfach zusammensitzen, nur du, dein Vater und ich, ohne das Wort Geburtstag zu erwähnen«, schlug sie schüchtern vor.
Ich überlegte. »Nein, am Wochenende kann ich nicht, tut mir leid. Ich hab momentan echt viel Stress bei der Arbeit«, log ich.
»Oh. Okay. Wie wäre es denn, wenn ich mal ein paar Stündchen nach Dublin komme? Nicht über Nacht, einfach nur auf einen Kaffee oder so. Ein bisschen plaudern, dann bin ich wieder weg, versprochen.« Sie lachte nervös. »Ich möchte nur einfach etwas Besonderes machen und würde dich schrecklich gerne sehen.«
»Ich kann nicht, tut mir leid, Mum.«
Schweigen. Viel zu lang.
Dann kam Dad ans Telefon. »Alles Gute zum Geburtstag, Liebes. Wir verstehen, dass du viel zu tun hast, also lassen wir dich jetzt wieder zurück zu dem, was du gerade gemacht hast.«
»Wo ist Mum?«
»Ach, äh, sie musste zur Tür.« Er konnte genauso schlecht lügen wie ich.
Meine Mutter weinte, ich wusste es.
»Na gut, ich wünsche dir jedenfalls einen schönen Tag, Schätzchen, amüsier dich ein bisschen, ja?«, fügte er leise hinzu.
»Okay«, antwortete ich ebenso leise, dann klickte es in der Leitung, und die Verbindung war tot.
Ich stöhnte, legte den Hörer auf, stellte das Telefon wieder auf den Nachttisch und warf das Kissen weg. Dann versuchte ich, meine Augen allmählich an das helle Licht zu gewöhnen, gegen das meine billigen Vorhänge nicht ankamen. Es war zehn Uhr an einem Montagmorgen, und ich hatte endlich einen Tag frei. Was ich mit ihm anfangen sollte, wusste ich nicht. Eigentlich hätte ich an meinem Geburtstag viel lieber gearbeitet, aber ich konnte mich ja auch mit einem Vermisstenfall beschäftigen, der vor kurzem als unlösbar abgeschlossen worden war. Ein kleines Mädchen namens Robin Geraghty war beim Spielen aus dem Vorgarten verschwunden. Alles deutete auf einen Nachbarn mittleren Alters, aber ganz egal, wie sehr wir uns auch bemühten, wir fanden einfach keine Beweise. Seit kurzem verfolgte ich solche Fälle auf eigene Faust, denn ich konnte nicht abschalten, wenn solche unerledigten Akten einfach abgelegt wurden.
Als ich mich auf den Rücken drehte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel einen Hügel neben mir im Bett. Der Hügel lag auf der Seite, auf dem Kissen war ein zerzauster dunkelbrauner Haarschopf zu sehen. Ich fuhr hoch, packte meine Decke und hüllte mich darin ein. Aber der Hügel drehte sich zu mir um und öffnete die Augen. Rot geränderte müde Augen. »Ich dachte, du würdest den Hörer überhaupt nicht mehr abnehmen«, sagte der Hügel mit heiserer
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