Vermiss mein nicht
Schlafen, Schule, Essen, Schlafen, dann noch fünfmal das Gleiche und wahrscheinlich im Lauf meines Lebens immer so weiter. Meine Zukunft sieht trostlos aus.«
»Bist du am Wochenende ausgegangen? Letztes Mal hast du gesagt, ein paar Leute hätten dich eingeladen.«
Ständig ritt er darauf herum, dass ich Freunde finden sollte. »Ja, ich war aus.«
»Und?«
»Es war ganz okay. Eine Party. Johnny Nugents Eltern waren nicht da, er hatte sturmfrei, da haben wir bei ihm gefeiert.«
»Johnny Nugent?«
Ich antwortete nicht, aber das Blut stieg mir in die Wangen.
»Konntest du Mr. Pobbs vergessen und dich amüsieren?«
Er fragte das so ernst, und ich betrachtete verlegen die blauen Reißnägel. Mr. Pobbs war ein grauer, kuschliger einäugiger Teddy in einem blaugestreiften Pyjama, den ich als Baby bekommen hatte, und er schlief noch immer bei mir im Bett, egal wo ich war. Vor ein paar Wochen war ich mit meinen Eltern ein paar Tage weg gewesen, und kaum waren wir wieder da, musste ich gleich wieder packen, weil ich das Wochenende bei meinen Großeltern verbringen wollte. Und als ich meine Sachen von einer Tasche in die andere räumte, war Mr. Pobbs anscheinend verloren gegangen. Das hatte mich natürlich mächtig aus der Fassung gebracht, und ich hatte sehr zum Leidwesen meiner Eltern zwei Wochen lang nach ihm gefahndet. Bei der letzten Sitzung hatte ich mit Mr. Burton darüber gesprochen, dass ich nicht mit Johnny Nugent ausgehen wollte, weil es mir wichtiger war, Mr. Pobbs zu suchen, der, so lächerlich das auch klingen mochte, mein bester Freund war. Mir war es sehr schwergefallen, an diesem Abend das Haus zu verlassen, in dem Wissen, dass Mr. Pobbs irgendwo darin versteckt war.
»Du bist also mit Johnny Nugent ausgegangen«, kehrte Mr. Burton zu seiner Frage zurück.
»Ja.«
Er lächelte unbeholfen. Offensichtlich waren auch ihm die Gerüchte zu Ohren gekommen. »Ist alles … bist du …« Er hielt inne und machte stattdessen mit den Lippen trompetenähnliche Geräusche, während er darüber nachdachte, wie er die Frage umformulieren konnte. Es kam selten vor, dass er verlegen wurde, sonst schien er immer alles unter Kontrolle zu haben. Jedenfalls in seinem Kabuff. Hin und wieder machte er während unserer manchmal sehr intensiven Gespräche unbewusst eine Äußerung über sich selbst, aber davon abgesehen wusste ich so gut wie nichts über sein Leben außerhalb dieser vier Wände. Mir war bewusst, dass es keinen Sinn hatte, ihm Fragen darüber zu stellen; er würde sie doch nicht beantworten. Dass ich nichts wusste, keine Fragen stellte und keine Antworten bekam, erinnerte mich daran, dass wir eigentlich Fremde waren. In diesem Raum hier waren wir es nicht, wir hatten uns eine eigene Welt mit eigenen Regeln geschaffen und einer klaren Grenzlinie, die nicht überschritten wurde, auf der man an manchen Tagen aber spielerisch herumtanzen konnte.
Bevor aus der Trompete ein ganzes Blasorchester wurde, kam ich ihm zu Hilfe. »Mr. Burton, mit mir ist alles in Ordnung, machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich hab etwas verloren, aber ich habe nicht die Absicht, es zu suchen oder zu erwarten, dass es zu mir zurückkommt. Ich glaube, ich bin geheilt.«
Wir lachten. Und lachten. Und als ein unbehagliches Schweigen einkehrte, weil ich mir vorstellte, wie er mich heilte, lachten wir wieder.
»Willst du ihn wiedersehen? Damit meine ich: Hat es dir Spaß gemacht auszugehen, konntest du entspannen und das ganze verlorene Zeug vergessen? Hast du dich in Gesellschaft der anderen wohl gefühlt?« Er lachte erneut. »Haben sie es geschafft, auf Scathach’s Island zu landen?«
Während ich mit dem Kopf ans Kopfende des Betts von Johnny Nugents Eltern gestoßen war, hatte ich eine Erleuchtung gehabt. Mir war nämlich eingefallen, dass ich Mr. Pobbs kurz beiseite gelegt hatte, als ich im Haus meiner Großmutter meine Klamotten einpackte. Am nächsten Tag rief ich sie an, in der festen Überzeugung, dass sie Mr. Pobbs gefunden hatten, wahrscheinlich unter dem Bett, wie er mit einem Auge zu den Sprungfedern hinaufstarrte. Aber er war noch immer verschollen, und wir hatten vereinbart, dass ich am folgenden Wochenende das Haus meiner Großeltern durchsuchen würde, obwohl Johnny Nugent schon wieder um eine Verabredung gebettelt hatte. Gerade wollte ich das alles erklären, als ich plötzlich stutzte. »Warten Sie mal, was ist Scathach’s Island?«
Er lachte. »Entschuldigung, das ist mir nur so rausgerutscht. Bloß
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