Vermiss mein nicht
Stimme.
»Wer bist du?«, fragte ich entsetzt und stieg mitsamt der Decke aus dem Bett, sodass der Hügel nackt und alle viere von sich streckend liegen blieb. Er grinste, faltete die Hände unter dem Kopf und zwinkerte mir schelmisch zu.
Wieder stöhnte ich. Eigentlich hätte es ein stummer innerer Stoßseufzer werden sollen, aber er stahl sich einfach aus meinem Mund. »Ich gehe jetzt ins Bad, und wenn ich zurückkomme, bist du weg«, sagte ich streng, während ich die Klamotten, die vermutlich dem Hügel gehörten, aufsammelte und zu ihm aufs Bett warf. Dann packte ich meine eigenen versprengten Sachen, drückte sie an mich und knallte die Tür hinter mir zu. Im letzten Moment machte ich noch einmal kehrt und holte sehr zum Leidwesen des Hügels schnell noch meine Brieftasche. Ich wollte ihn ja nicht in Versuchung führen.
Ich blieb auf der Toilette, bis Mr. Rankin von nebenan an die Tür hämmerte und mir und allen anderen Bewohnern des Gebäudes lautstark erklärte, dass ein bestimmter Körperteil, den ich mir lieber nicht so genau vorstellen wollte, kurz davor sei zu platzen. Sofort riss ich die Tür auf und rannte zurück in meine Bude, in der Hoffnung, dass der behaarte Hügel inzwischen verschwunden war. Aber das Glück war mir nicht hold. Er kam gerade aus meinem Zimmer.
Langsam ging ich auf ihn zu, obwohl ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Auch ihm schien nichts einzufallen, vielleicht war es ihm auch egal. Auf jeden Fall hatte er immer noch sein blödes Grinsen im Gesicht.
»Haben wir …?«, fragte ich.
»Ja, zweimal«, antwortete er zwinkernd, und mir drehte sich fast der Magen um. »Übrigens, bevor du mich rausschmeißt – da ist ein Typ vorbeigekommen, als du auf dem Klo warst. Ich hab ihm gesagt, dass er warten kann, wenn er will. Aber du wirst ihn wahrscheinlich nicht erkennen, wenn du ihn siehst.« Wieder das dämliche Grinsen.
»Was für ein Typ denn?« Ich zermarterte mir das Gehirn.
»Siehst du, ich hab ihm doch gleich gesagt, du würdest dich nicht erinnern.«
»Ist er da drin?« Ich glotzte auf die geschlossene Tür.
»Nein, vermutlich wollte er nicht mit einem nackten behaarten Mann in dieser Bude hier rumhängen.«
»Du bist nackt an die Tür gegangen?«, fragte ich wütend.
»Ich hab gedacht, du bist es«, erwiderte er achselzuckend. »Jedenfalls hat er diese Karte hier für dich dagelassen.« Er überreichte mir eine Visitenkarte. »Ich nehme nicht an, dass es einen Sinn hat, dir meine Telefonnummer aufzudrängen?«
Ich schüttelte den Kopf und nahm die Karte aus seiner Hand. »Danke, äh …«, begann ich matt.
»Steve«, stellte er sich vor und streckte mir die Hand entgegen.
»Nett, dich kennenzulernen«, lächelte ich, und auch er lachte. Irgendwie war er ja ganz süß, aber ich war trotzdem froh, als er die Treppe hinunterging.
»Wir sind uns übrigens schon mal begegnet«, rief er noch, ohne sich umzudrehen.
Schweigend durchforschte ich mein Gedächtnis.
»Bei Louise Drummonds Weihnachtsparty letztes Jahr, weißt du noch?« Hoffnungsvoll blieb er stehen und sah mich an.
Ich runzelte die Stirn.
»Na ja, macht nichts«, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Da hast du dich am nächsten Morgen auch nicht mehr an mich erinnert.«
Noch einmal das Grinsen, dann war er endlich weg.
Einen Moment gab ich mich meinem schlechten Gewissen hin, dann erinnerte ich mich wieder an die Visitenkarte in meiner Hand, und das unangenehme Gefühl verzog sich. Aber als ich den Namen auf der Karte las, bekam ich weiche Knie.
Anscheinend hatte Mr. Burton in Dublin eine Praxis eröffnet, das Scathach House in der Leeson Street. Moment mal,
Doktor
Burton, nannte er sich jetzt, offenbar hatte er endlich sein Examen gemacht.
Aufgeregt trat ich von einem Fuß auf den anderen. Dann hörte ich die Klospülung, Mr. Rankin kam heraus, das Toilettenpapier in der Hand, und sah mich herumtanzen.
»Müssen Sie etwa schon wieder? Also ich würde da lieber nicht gleich reingehen«, warnte er und wedelte mit seiner Zeitung.
Ich ignorierte ihn und marschierte zurück in mein Zimmer. Mr. Burton war in der Stadt, drei Jahre nach meinem Umzug hatte er mich gefunden, das war alles, was zählte. Jetzt war wenigstens
eine
verlorene Socke wieder aufgetaucht.
Sechsundzwanzig
»Ach ja, Dr. Burton«, Jack richtete sich auf und drückte das Telefon an sein Ohr. »Jetzt weiß ich wieder, warum ich mir die Notiz gemacht hatte. Aber ich wollte mich nicht meinetwegen erkundigen, sondern
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