Vermisst: Thriller (German Edition)
ihren Vater unterhalten, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte er mit fester Stimme
Gray hatte eine Glatze und ein Raubvogelgesicht, das er zu einer Maske des Mitgefühls verzogen hatte. Er gab sich gewissenhaft und besorgt, aber darauf fiel ich nicht herein. Nicholas Gray war ein Kopfjäger. Als oberster Bundesanwalt der Westküste war er fest entschlossen, gegen meinen Vater Anklage wegen Spionage zu erheben.
Jesse rührte sich nicht von der Stelle. »Ev?«
Ich nickte Gray zu. »Reden Sie.«
»Ich habe mit dem örtlichen Sheriff’s Department gesprochen. Der Deputy glaubt, der Unfall sei vorsätzlich herbeigeführt worden.« Er trank einen Schluck Cola. »Da bin ich ganz seiner Meinung. Allerdings glaube ich nicht, dass Ihr Vater Selbstmord begangen hat.«
Ich wich im Geiste einen Schritt zurück. »Soll das heißen, an der Sache ist was faul?« Mein Gehirn arbeitete fieberhaft. »Hat ihn jemand von der Straße gedrängt?«
Gray hob nur eine Augenbraue. »Farelli?«
Drew Farelli, Grays Colaträger, sprang sofort ein. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß, und seinen Hamsterbacken nach zu urteilen schmeckte es ihm zu Hause bei Mama. Zu allem Überfluss klimperte er zwanghaft mit dem Kleingeld in seiner Tasche.
»Ich habe mit Deputy Gilbert gesprochen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Wagen Ihres Vaters von einem anderen Fahrzeug gerammt wurde.«
»Moment, was ist hier los?« In meinem Kopf pochte das Blut. »Hat man ihn gefunden?«
Gray fuhr sich mit der Hand über den glänzenden Schädel. »Die Sache macht Ihnen offenkundig zu schaffen. Möchten Sie sich nicht setzen?«
»Nein, möchte ich nicht. Hat man ihn gefunden?«
»Nein.«
Ich zählte bis zehn, um ihm nicht an die Gurgel zu gehen. Jesse musterte Gray mit eisiger Gelassenheit. »Gray, was wird hier gespielt?«
Der Staatsanwalt deutete auf den zweiten Nadelstreifenanzug. »Das hier ist Special Agent Ceplak.«
FBI. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
»Ms. Delaney«, sagte Ceplak, »es ist kein Geheimnis, dass wir uns für Ihren Vater interessieren. Er zeigt sich seit Monaten unkooperativ und tut alles, um sich den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu entziehen.«
»Und?«
»Ich glaube, das hier war sein letzter Schachzug. Er liegt keineswegs da draußen am Hang. Weil er nämlich gar nicht im Auto war, als es abstürzte.« Er sah Farelli an. »Wie hat der Deputy es formuliert?«
»Die Fahrertür stand schon am oberen Ende der Falllinie offen. Der Koffer war im Gepäckraum, aber die Computertasche fehlte.« Die Münzen klimperten heftiger. »Die Art der Beschädigung des Gestrüpps oben am Hang deutet darauf hin, dass sich der Wagen mit einer Geschwindigkeit von nur wenigen Kilometern pro Stunde bewegte, als er von der Straße abkam.«
»Wie bitte?«, fragte ich.
Ceplak nickte. »Auf dem Boden wurden Reifenspuren gefunden. Und ein Fußabdruck. Der Wagen hat erst beim Sturz an Geschwindigkeit gewonnen. Wir gehen davon aus, dass Ihr Vater ausgestiegen ist, seinen Laptop an sich genommen und das Auto über den Rand geschoben hat.«
»Das ist ja verrückt.«
»Es sollte so wirken, als hätte er auf einer abgelegenen Straße Selbstmord begangen. Die Stelle war einsam genug. Es hätte also klappen können, aber das mit dem Laptop war ein Fehler. Damit hat er sein Spiel verraten.«
»Welches Spiel?«
Jesse legte mir die Hand auf den Arm, um zu verhindern, dass ich mich provozieren ließ. Aber es war ja auch nicht sein Vater, der verleumdet wurde.
Gray verschränkte die Arme. »Er wollte das Ergebnis der Ermittlungen nicht abwarten. Vielleicht wusste er, dass wir bald genügend Material für eine Anklage haben würden.«
Drew Farelli klimperte mit den Münzen in seiner Tasche. Gray ging ganz in seiner Rolle als Hüter der Gerechtigkeit auf. Er blickte von Jesse zu mir.
»Unmittelbar vor seinem Verschwinden war Ihr Vater mit Ihnen beiden zusammen. Was hat er Ihnen vor seiner Abreise anvertraut?«, wollte er wissen.
»Wie kommen Sie dazu …«
»Hat er sich seit dem Unfall mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
Am liebsten hätte ich mich umgedreht und wäre gegangen, aber ich beherrschte mich. »Jetzt hören Sie mal gut zu: Die Rettungswacht sucht immer noch den Hang nach ihm ab …«
»Nennen wir das Kind doch beim Namen«, unterbrach mich Gray. »Ihr Vater hat geheime Informationen verraten, auch wenn es seinen Anwälten bisher gelungen ist, ihn vor den rechtlichen Folgen zu schützen.«
Es fiel mir unendlich schwer, ihm nicht ins
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