Vermisst: Thriller (German Edition)
»Das nimmt uns das FBI nie im Leben ab.«
»Nein.« Ich öffnete meine Tür. »Da muss ich mir was anderes einfallen lassen.«
Ich stieg ein, aber Jesse saß immer noch in seinem Rollstuhl. »Du willst mit ihr Kontakt aufnehmen?«
Ich nickte. Grimmig erwiderte er meinen Blick.
Kolumbien. Thailand. Geheimdienstoffizier mit zweifelhaften Verbindungen.
Bei dieser Sachlage gab es nur eine Antwort: Jakarta Rivera.
Jesse fuhr mich wortlos in die Innenstadt. Sein Gesicht hinter der Sonnenbrille war undurchdringlich. Nachdem er mich an der Bank abgesetzt hatte, ging ich mit einer Angestellten in den Tresorraum und gab ihr den Schlüssel zu meinem Depotfach. Meine Handflächen kribbelten.
Wie ein böser Geist tauchte Jax Rivera immer wieder in meinem Leben auf. Glamourös, intrigant und gewalttätig. Nach dem Ende ihrer Laufbahn als CIA-Agentin hatte sie mit ihrem britischen Ehemann eine kleine Agentur für Auftragsmorde gegründet. Die beiden waren wohl ganz glücklich miteinander. Und sie mochten mich. Darauf hätte ich gut verzichten können.
Bei unserer ersten Begegnung boten sie mir einen Job als Ghostwriter für ihre Memoiren an. Ich lachte, weil ich ihre Geschichte für frei erfunden hielt. Leider war das ein Irrtum. Das Angebot war zwar nicht ernst gemeint gewesen, aber die beiden hatten in Santa Barbara tatsächlich einen Auftrag erledigt. Jax hinterließ mir einen dicken Umschlag mit Unterlagen, die sie und Tim North im Laufe der Jahre gesammelt hatten: Notizbücher, Fotos, Memos, in denen die Namen von Personen sowie Ort, Zeitpunkt und Art ihres Todes verzeichnet waren. Nach einem flüchtigen Blick standen mir sämtliche Haare zu Berge. Ich stopfte alles zurück in den Umschlag und klebte ihn zu.
Wenn das Verschwinden meines Vaters irgendetwas mit seiner Arbeit für den Marine-Geheimdienst zu tun hatte, konnte mir möglicherweise nur Jax helfen. Vor Kurzem hatte ich nämlich herausgefunden, dass sich die beiden kannten.
Ich hatte weder ihre Festnetznummer noch ihre Adresse und wusste noch nicht einmal, ob sie tatsächlich Jakarta Rivera hieß. Mein einziger Anhaltspunkt war der dicke Umschlag mit den Dossiers, den ich in meinem Bankdepot liegen hatte.
Als ich ihn aus dem Fach holte, fühlte er sich schwerer an, als ich es in Erinnerung hatte. Ich bedankte mich bei der Bankangestellten und machte mich mit meiner Büchse der Pandora unter dem Arm auf den Weg zu der etwa einen halben Kilometer entfernten Kanzlei von Sanchez Marks.
Jahrelang hatte ich mich gefragt, wieso Jax und Tim ihre Dokumente ausgerechnet bei mir deponiert hatten. Weil ich wirklich ihre Memoiren schreiben sollte? Ein Vorwand. Weil Jax ein Fan von mir war? Schön wär’s. Jax liebte Lügen, Waffen und Prada. Als Science-Fiction-Fan konnte ich sie mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dann vielleicht weil ihre gestohlenen Informationen bei mir in guten Händen waren, falls die beiden eine Absicherung brauchten oder jemanden erpressen wollten? Schon eher.
Oder, dachte ich jetzt, weil Jax mit meinem Vater zusammengearbeitet hatte? Trotz seines Versprechens hatte er sich bislang geweigert, mir zu diesem Punkt konkrete Informationen zu liefern.
Vielleicht bekam ich aus Jax mehr heraus. Wenn möglich noch heute. Hinter dem Gerichtsgebäude bog ich um eine Ecke. Gleich dahinter lag das Gebäude im spanischen Stil, in dem die Kanzlei ihre Büroräume hatte. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den Fenstern. Drinnen im Foyer trat soeben ein Mann auf die Tür zu, der bei meinem Anblick wie angewurzelt stehen blieb.
Er biss sich so fest auf die Lippen, dass sie ganz weiß wurden.
Eine höchst unangenehme Begegnung, aber das war jetzt auch schon egal. Ich öffnete die Tür. »Wie geht’s denn so, PJ?«
Die Ähnlichkeit mit Jesse war verblüffend. Ich hatte ihn seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis nicht mehr gesehen. Er war schlank, aber seine Schultern wirkten muskulöser als früher. Das braune Haar trug er kurz, und die blauen Augen schienen durch mich hindurchzublicken.
Er drängte sich an mir vorbei durch die Tür, wobei er sich seitwärts drehte, um jede Berührung zu vermeiden. »Mein Bruder ist nicht da.«
»Doch, ist er.«
»Irrtum.«
Während ich fieberhaft überlegte, wie ich die Situation retten konnte, ließ er mich einfach mit brennenden Wangen an der Tür stehen. Im Gehen fischte er einen Bund Motorradschlüssel aus der Tasche seiner Jeans. An der Ecke stutzte er einen Moment, dann lief er plötzlich los.
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