Vermisst: Thriller (German Edition)
die an der Schulter befestigten Funkgeräte. Georgie versuchte jetzt nicht mehr, sich nach der Oxford Street umzudrehen. Ohne Zweifel hatte sie noch immer das verzerrte Gesicht des unter Schock stehenden Busfahrers hinter der zerschmetterten Windschutzscheibe vor Augen, und die Delle vorn am Bus. Ich hatte sie weggezerrt, bevor sie den zerschmetterten Körper mit den langen schwarzen Haaren auf der Fahrbahn entdeckt hatte.
Ich konnte sie unmöglich sich selbst überlassen. Wen hatte sie denn noch? Solange Christian und Rio Sanger auf freiem Fuß waren, konnte sie noch nicht einmal in die Schule zurück.
Von Jax hatten wir bisher nichts gehört.
Ich steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten. Mein Laptop war weg. Die Polizei hatte mit Sicherheit den Bahnhof abgesperrt und suchte nach Spuren der Wahnsinnigen, die das Fenster zerschmettert hatte.
Die Aufnahmen der Überwachungskameras würden zeigen, wie ich in der Tür stecken blieb und den Rucksack zurückließ, um mich vor Shiver in Sicherheit zu bringen. Ausweise würden sie nicht finden, weil ich beide Pässe am Körper trug, aber das Dossier und mein Rechner befanden sich im Rucksack.
Ohne den Computer konnte ich weder meinen Vater befreien noch Georgie außer Landes schaffen. Ich hatte nur eine halbe Stunde, um den letzten USB-Stick zu finden, der Georgie den Weg in die USA öffnen sollte. Aber selbst wenn mir das gelang, war dieser Stick ohne die Riverbend-Software nutzlos.
Die geschäftigen Passanten und die glitzernden Schaufenster verschwammen vor meinen Augen. Ich würde mich stellen müssen. Vielleicht konnte ich mich an den Verbindungsmann des FBI bei der US-Botschaft wenden.
Georgie zupfte mich am Ärmel. Sie wirkte schmaler als noch vor wenigen Stunden, sehr verletzlich und völlig durchgefroren. Ich schlang den Arm fester um ihre Schultern.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie.
»Ich muss irgendwo in Ruhe telefonieren.«
Das klang selbst in meinen Ohren nicht sehr überzeugend. Ihr Blick zeigte mir eindeutig, dass sie sich damit nicht abspeisen lassen würde.
»Warum hat dich dieser Mann Evan genannt?«
»Das ist mein zweiter Vorname. Die meisten Leute nennen mich so.«
»Dann heißt du also gar nicht Kit.«
»Mein erster Vorname ist Kathleen. Als ich klein war, wurde daraus Kit, das war mein Spitzname. Mein Vater nennt mich heute noch so. Er ist übrigens auch ein Freund deiner Mutter.«
Tränen glänzten in ihren Augen. Ich wischte sie weg.
»Wir gehen jetzt irgendwohin, wo ich telefonieren kann. Wir wollen doch rausfinden, wo deine Mutter steckt.«
Sie nickte mit bebender Unterlippe und ließ die Schultern hängen. Dabei hatte sie noch gar keine Ahnung, wie sehr das Leben ihrer Familie von Lügen und Gewalt beherrscht wurde. Jax hatte versuchte, sie hinter Klostermauern in Sicherheit zu bringen, aber die Realität hatte sie eingeholt. Als ich sie in die Arme nahm, wehrte sie sich nicht. In dem Strom der Menschen um uns herum fühlte ich mich wie ein Blatt, das hilflos auf den Ozean zutreibt.
Christian hielt sich im Gehen den Arm. Er war auf Entzug, und der Speed lag in seinem Hotelzimmer. Nachdem die Sache am Grosvenor Square gründlich danebengegangen war, wollte er nur noch schlafen. Wie hatte Rio ihn überhaupt mit einem solchen Auftrag nach London schicken können?
Er fiel in Laufschritt und trabte an den prächtigen Villen vorbei. Wo hatte er bloß den Jaguar abgestellt? Der Wind trug Sirenengeheul herüber. Die Sonne brannte in seinen Augen, er war hungrig und blutete.
Diese Schwäche. Er brauchte Blut. Blut und Speed. Und seine kleine Schwester war ihnen entwischt. Er rieb sich mit der Hand über den Kaschmirpullover, aber seine Hand gehorchte ihm nicht recht.
Der Kerl war gar nicht Tim North gewesen. Verstohlen schaute er sich um. Wie ihn die Leute angestarrt hatten!
Seine kleine Schwester war weg, die Einzige, die Blut und Knochenmark für die Transplantation liefern konnte.
Ein Streifenwagen raste an ihm vorbei. Christian verlangsamte sein Tempo, bog um eine Ecke und wechselte die Richtung. Wo hatte er nur geparkt? Er erinnerte sich an ein Baugerüst. Hier war es jedenfalls nicht gewesen.
Während er weitertaumelte, zog er seine Hand unter dem Mantel hervor. Die Knöchel waren aufgeschürft, und der Daumen stand in einem merkwürdigen Winkel ab. Rio würde ihn umbringen. Er hatte sich von einem Krüppel die Hand brechen lassen.
Der Kerl war wie vom Erdboden verschluckt, und Christian hatte nicht die Absicht, sich noch
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