Vermisst: Thriller (German Edition)
bedauernd fest. »Zumindest trägt sie einen Ring.«
Die Tür öffnete sich und entließ uns in ein Untergeschoss mit kühlen Marmorwänden und dicken Teppichen. Vor uns stand eine stämmige Bankangestellte im karierten Kostüm.
»Bitte folgen Sie mir«, sagte sie.
Sie führte uns durch einen langen Gang zum Tresor. Ich reichte ihr den Schlüssel, sie holte die Box aus dem Schließfach und brachte uns zu einem Raum, wo wir ungestört waren.
Als sie die Tür öffnete, wusste ich sofort, woher ich den polierten Schreibtisch, die Mahagonivertäfelung und die Wandleuchter kannte. Hier hatte Jax ihre Videos aufgenommen.
Nachdem uns die Bankangestellte allein gelassen hatte, durchsuchte ich das Zimmer. An der Decke konnte ich nichts Verdächtiges entdecken. Ich fuhr mit der Hand über die Wandleuchter, die Unterseite des Tisches und die Nahtstellen zwischen den Mahagonitafeln.
»Was soll das?«, fragte Jesse.
Ich überprüfte den Ficus in der Ecke, drehte den Schreibtischstuhl um und klopfte die Wände auf Hohlräume ab.
»Dieses Fiasko haben wir der Tatsache zu verdanken, dass sämtliche Beteiligten alle ihre Handlungen aufzeichneten, und zwar möglichst mit versteckter Kamera.« Ich schaute mich ein letztes Mal um. »Schade, dass ich kein Wanzensuchgerät habe, aber es muss auch so gehen.«
Jesse starrte mich an, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf. Unbeirrt setzte ich mich an den Tisch und öffnete die Box.
Als Erstes entdeckte ich einen dicken Stapel Fünfzig-Pfund-Noten. Daneben lag ein ebenso dickes Bündel Dollarscheine.
»Danke, Jax.« Damit ließ sich Georgies Flucht arrangieren, ohne dass jemand unangenehme Fragen stellte. Vermutlich würde das Geld auch noch für ihr Studium reichen.
Unter den Scheinen fand ich einen Umschlag. Und darunter lag der USB-Stick, den ich sofort in meinen Rechner schob. 00:07:04 zeigte der Countdown. Verdammt knapp! Jesse fragte, ob er den Umschlag öffnen durfte. Ich nickte.
Er brach das Siegel auf und schüttete den Inhalt auf den Tisch: ein Pass, mehrere Kreditkarten, amtliche Dokumente.
»Vormundschaftspapiere, ein ärztliches Attest, eine Vollmacht«, konstatierte er.
Auf dem Bildschirm erschien wieder Jax, die ich nun als aufopfernde Mutter kennengelernt hatte.
»Wenn du es bis hierher geschafft hast«, sagte sie, »will ich, dass du Georgie mitnimmst. Bring sie ganz weit weg und schütze sie mit deinem Leben. All ihre Papiere sind hier. Geburtsurkunde, Vormundschaftspapiere, Sorgerechtsbeschluss. Und Kreditkarten auf ihren Namen. Du kannst sie ruhig benutzen, sie sind sauber. Du bist in Georgies Pass als ihr Vater eingetragen.«
Trotz meiner Erschöpfung fühlte ich mich wie ein Eindringling, als ich diesen ganz privaten Worten an Tim North lauschte, den Auftragskiller, der das Kind eines anderen Mannes schützen sollte.
»Geheimdienste und Regierung dürfen nichts von ihrer Existenz erfahren. Wenn die Verbindung zu mir bekannt wird, wird man sie als Köder einsetzen, um mich zu fassen. Wir würden sie nie wiedersehen. Ich habe eine Versicherung für Georgie abgeschlossen. Die Police liegt bei.«
Jesse hatte einen zweiten Umschlag geöffnet und fing an zu lesen.
Jax zögerte immer noch. »Sei mir nicht böse, dass ich dir so lange nichts von Georgia erzählt habe. Ich dachte, du kannst vielleicht nicht damit umgehen. Aber irgendwann muss Schluss sein mit den Schuldzuweisungen. Du hast mir geholfen, das ist alles, was zählt.« Sie rang offenkundig um Beherrschung. »Ihr wart mein Ein und Alles, du und Georgie. Nimm sie zu dir. Lass mich nicht im Stich.«
Sie gab etwas auf ihrer Tastatur ein.
»Ich habe mir die Satellitenaufnahmen der NSA besorgt. Du hattest recht, der Film war tatsächlich archiviert. Ihnen gefiel die Version, die im Umlauf war, und sie wollten keinen unnötigen Ärger durch widersprüchliche Aussagen.« Sie tippte weiter. »Aber ich kann sehr überzeugend sein.«
Eine letzte Taste. »Leider ohne Ton.«
Nach einem Moment der Verwirrung erkannte ich, dass es sich um Satellitenbilder handelte, die offenbar von der NSA, der amerikanischen Behörde für nationale Sicherheit, stammten. Die Auflösung war unglaublich. Hank Sangers Haus mit der Veranda und dem tropischen Garten war deutlich zu erkennen. Hinter einer schmalen Straße lagen weitere Häuser und ein Wohnblock, auf dessen Dach die Außeneinheiten der Klimaanlagen scharfkantige Schatten warfen.
Entsetzt blickte ich Jesse an. Ich fand es unerträglich, dass ich mir Hank Sangers
Weitere Kostenlose Bücher