Vermisst: Thriller (German Edition)
einfallen, oder gib mir deine Smith & Wesson und ernenne mich zum Hilfssheriff.«
Sie starrte mich wütend an. »Du hast wohl vergessen, dass du meine Gefangene bist.«
»Entführung und Freiheitsberaubung, das muss doch reichen. Wenn wir hier noch länger rumstehen, geht uns Rio Sanger durch die Lappen.«
»Okay«, sagte sie schließlich. »Vermutlich muss ich davon ausgehen, dass das Leben eines Bürgers in Gefahr ist.«
»Genau. Absolut legal. Und jetzt komm endlich.«
Sie zog ihre Waffe. »Bleib hinter mir.«
Sie packte die Waffe mit beiden Händen und zielte auf den Boden, während sie sich mit dem Rücken an einen Container gepresst bis an die Ecke heranschob. Blitzartig beugte sie sich vor und wich sofort wieder zurück.
»Der Mercedes steht etwa fünfzig Meter von hier entfernt. Die Fahrertür ist offen, aber von Rio Sanger keine Spur.«
Als ich nachsehen wollte, legte sie mir die Hand auf die Brust.
»Dieser Stapel ist das reinste Labyrinth. Die Sanger kennt sich hier aus, aber wir könnten uns verlaufen oder in einer Sackgasse landen.«
Sie warf einen letzten Blick auf ihr eigenes Auto. Immer noch keine Spur von der Hafenpolizei. Ihr angespanntes Gesicht wirkte plötzlich viel zu jung für die Last der Verantwortung, die sie trug.
»Ich weiß, dass es um deinen Vater geht, aber sei vorsichtig. Halt dich zurück. Ich will nicht, dass du noch mehr Ärger kriegst.«
»Das dürfte kaum möglich sein.«
Sie warf mir einen finsteren Blick zu und zählte lautlos bis drei. Dann rannte sie los. Ich folgte ihr auf den Fersen.
Lily lief zu der offenen Fahrertür und zielte ins Wageninnere. Die Stereoanlage spielte in voller Lautstärke Opernmusik, ein Sopran jubilierte in den höchsten Tönen. Lily wechselte die Richtung und schlich zum nächsten Container. Wieder spähte sie zuerst um die Ecke, bevor sie in dem Irrgarten verschwand. Ich folgte ihr. Die Container standen dicht an dicht, aber einige waren bereits verladen worden, so dass sich immer wieder rechteckige Lücken auftaten. Je weiter wir vordrangen, desto niedriger wurde der Stapel und desto mehr Lücken klafften. Die Kräne hatten an diesem Ende mit der Verladung angefangen. Meinem Vater blieb nicht viel Zeit.
Die nächste Ecke. Lily stockte und legte den Finger auf den Mund. Wir hörten Schuhe gegen Metall scheppern.
Sie lugte um die Ecke, zog sich jedoch gleich wieder zurück. »Sie klettert auf einen Container«, flüsterte sie mir zu.
Im selben Moment klackten Absätze auf einer Metalloberfläche und bewegten sich von uns fort. Wir bogen um die Ecke.
Der Container war gute zweieinhalb Meter hoch und ebenso breit. Schlösser, Riegel und Stangen boten jede Menge Griffmöglichkeiten. Ich gab Lily Hilfestellung. Sie packte die obere Kante und hievte sich hoch. Ich griff nach einer Sperrstange, trat auf einen Riegel und folgte ihr, wobei ich mir große Mühe gab, meine schmerzenden Rippen und mein steifes Bein zu ignorieren.
»Sie ist zwei Container weiter wieder nach unten geklettert«, flüsterte Lily.
Trotz des permanenten Lärms der Maschinen bewegten wir uns so leise wie möglich, um jedes Risiko zu vermeiden. Vom nächsten Container aus erkannten wir, dass der Stapel vor uns nur noch ein oder zwei Container hoch war. Ein Kran rauschte plötzlich über uns vorbei, griff nach einem blauen Container, der direkt auf dem Boden stand, und schwang ihn hoch in die Luft.
Wir legten uns flach auf den Bauch und robbten vorsichtig an den Rand des Containers. Unter uns drehte sich ein Schlüssel in einem schweren Schloss. Lily schaute nach unten und wich gleich wieder zurück.
»Fünf Meter rechts von uns. Der Container steht direkt auf dem Asphalt, und sie schließt gerade die Türen auf.«
Ich nickte.
»Sobald sie drin ist, klettere ich runter. Bei dem Winkel kann sie mich nicht sehen. Du wartest hier.« Sie drohte mir mit dem Finger. »Und das meine ich ernst.«
»Ist ja gut.«
Ich lauschte, ohne den Kopf zu heben. Der Schlüssel knirschte im Schloss, und die Türen des Containers öffneten sich knarrend. Absätze klapperten auf dem Metall.
Dann hörten wir Rio laut fluchen.
35. Kapitel
Schon war Lily wie eine Katze über den Rand des Containers geklettert und an der Sperrstange nach unten gerutscht. Ich rutschte vor bis zur Kante und blickte ihr nach.
Rechts von mir, auf der anderen Seite einer etwa drei Meter breiten Gasse, stand die Tür zu einem verrosteten roten Container offen. Immer darauf bedacht, außer
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