Vermisst: Thriller (German Edition)
Sichtweite zu bleiben, zückte Lily die Waffe und schlich lautlos darauf zu. Dann trat sie um die Tür und hob den Revolver.
»Polizei! Keine Bewegung!«
Drinnen im Container brach das Chaos los. Lily rührte sich nicht von der Stelle.
»Keine Bewegung! Gesicht nach unten. Hände ausstrecken.«
Ich wagte kaum zu atmen, obwohl mir ein Schrei in der Kehle steckte. Mit grimmiger Miene, die Waffe immer noch im Anschlag, tastete sich Lily in den Container hinein. Die Stille dehnte sich ins Endlose.
»Evan«, sagte sie schließlich.
Ich schwang die Beine über den Rand, ließ mich auf den Asphalt fallen und rannte zur Tür. Im Dämmerlicht stemmte sich Lily mit einem Knie in Rio Sangers Rücken und legte ihr Handschellen an. Mein Vater hatte einen Ledergürtel um Rios Hals geschlungen und würgte sie mit aller Kraft. Ihr Gesicht war bereits dunkelrot angelaufen.
Lily ließ die Handschellen zuschnappen und stand auf. »Geschafft.«
Er ließ den Gürtel los, und Rios Kopf knallte auf den Boden. Sie rang pfeifend nach Luft.
»Dad«, rief ich, den Tränen nahe.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappelte er sich mühsam auf, wobei er sich mit einer Hand an der Wellblechwand des Containers abstützte. »Kit!«
Seine Stimme klang wie ein Reibeisen. Wortlos nahm ich ihn in die Arme. Er schwankte, aber ich hielt ihn ganz fest. Sein Gesicht war eingefallen und voller Blutergüsse, die Lippen waren aufgesprungen. In mächtigen Zügen sog er die nach Rost und Urin stinkende Luft in sich ein. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und blinzelten nach der langen Zeit in der Dunkelheit geblendet in die Sonne, aber er wirkte ungebrochen.
»Du solltest gar nicht hier sein«, sagte er rau zu mir.
»Du auch nicht.«
Hinter mir protestierte Rio wütend gegen ihre Verhaftung, während Lily sie über ihre Rechte belehrte. Mein Vater zuckte plötzlich zusammen und verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Mein Knie ist kaputt.«
Er stützte sich auf meine Schulter und benutzte einen dicken Besenstiel, der an der Wand lehnte, als Krücke.
»Das Gleiche habe ich mir schon mal auf der Highschool eingehandelt.«
»Komm, wir gehen.«
»Mit Vergnügen.« Er tat einen zögernden Schritt, dann blieb er stehen. »Tut mir leid, Kit. Ich bin völlig am Ende.«
Er starrte auf Rio hinab, die wie auf Hochglanz poliert wirkte. Alles an ihr war eine Nummer zu dick aufgetragen: die manikürten Nägel, das pechschwarze Haar, das Make-up. An ihrem Hals schimmerten rote Würgemale.
»Was war das für ein Gürteltrick?«, fragte Lily bewundernd.
»Kenpo-Karate«, erklärte er.
Lily durchsuchte Rio von den Stiefeln bis zum Haarknoten. Die wand sich unter ihrem Griff.
»Ich will meinen Anwalt!«
»Okay«, sagte Lily.
»Setzen Sie mich gefälligst hin. So können Sie mich nicht behandeln.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind.«
»Wie können Sie es wagen! Ich bin eine Geschäftsfrau und lasse mich nicht derart schikanieren.« Rio bäumte sich auf und warf mir einen giftigen Blick zu. »Schlampe!«
Das dick aufgetragene Make-up verlieh ihrem Gesicht etwas Ordinäres, aber ihre Haut wirkte selbst am Ausschnitt erstaunlich straff und jugendlich.
»Was haben Sie Ihrem Sohn gegeben?«, fragte ich. »Hormone? Drogen? Ist er deswegen so krank, oder hat er sich mit einer Spritze infiziert?«
»Lassen Sie Christian aus dem Spiel! Ich werde das Sheriff’s Department in Grund und Boden verklagen. Sie haben nichts gegen mich in der Hand, Sie mexikanisches Dreckstück.«
Das galt Lily, die jetzt einigermaßen angesäuert wirkte. »Ruhe!« Sie schnappte sich eine Kiste, die in einer Ecke des Containers gestanden hatte, und marschierte nach draußen. »Hier stinkt es.«
Ich half meinem Vater nach draußen, wo er sich auf die Kiste sinken ließ. Lily schaute sich suchend um. Da von der Hafenpolizei immer noch nichts zu sehen war, trat sie wieder in den Container und band Rio Sangers Knöchel mit dem Gürtel meines Vaters zusammen. Dann wählte sie die Notrufnummer.
»Hier Detective Lilia Rodriguez vom Sheriff’s Department von Santa Barbara County.« Sie gab der Zentrale ihre Kennnummer durch und bat darum, ihr den nächsten Streifenwagen zu schicken. »Ich habe eine Verdächtige festgenommen und brauche Hilfe.«
Unterdessen holte ich Wasserflaschen, eine Rehydrierungslösung und eine Ladung Schokoriegel aus meinem Rucksack, die ich am Flughafen erstanden hatte. Mein Vater würde eine intravenöse Lösung benötigen, aber
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