Vermisst: Thriller (German Edition)
Nase. Blut.
»Vertrau niemandem, wirklich niemandem. Boyd Davies war nicht der Einzige. Rio Sanger befehligt eine ganze Armee von Killern. Du musst davon ausgehen, dass sie versuchen wird, dich aufzuspüren und die Informationen aus dir herauszupressen. Wenn nötig, mit Gewalt.«
Ich nickte angespannt. »Ihr Sohn ist auch in die Sache verwickelt. Das muss der mit den schwarzen Designerklamotten sein.«
»Christian. Der Erbe des Imperiums.«
»Es hörte sich an, als hätte diese Rio einen ausländischen Akzent.«
»Amerikanerin ist sie nicht, aber ihre Operationsbasis ist hier.«
»Was weißt du über diese Leute?«, fragte ich.
»Was ich dir erzählt habe. Begegnet bin ich ihnen nie. Riverbend war vor meiner Zeit.«
»Was ist in dem Dossier?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass die Operation in einem Desaster endete. Und dass dein Vater Jax mit reingezogen hat.«
Der Verkehr floss zäh durch die nachmittägliche Hitze. Wir waren viel zu langsam.
»Das Handy behalt ich erst mal«, sagte ich. »Das Foto ist der einzige Beweis, dass mein Vater entführt wurde. Außerdem will ich mir sein Adressbuch und die Anruflisten anschauen.«
»Lass dich bloß nicht damit erwischen.«
»Werd ich nicht. Aber jetzt rufe ich Jesse an.« Mein Gesicht brannte, denn ich wusste, wie seine Reaktion ausfallen würde. »Gib mir dein Handy.«
Er schüttelte den Kopf.
»Weißt du noch, wie du dich gefühlt hast, als du Jax nicht erreichen konntest?«, erinnerte ich ihn. »So geht es Jesse jetzt. Ich muss ihm sagen, dass mit mir alles in Ordnung ist. Und wenn ich niemandem vertrauen kann, brauche ich sowieso eine Verbindung nach Hause. Ganz besonders, wenn es haarig wird.«
Er musterte mich aus schmalen Augen, dann gab er mir das Telefon.
Jesse stürmte durch die Tür der Kanzlei Sanchez Marks. Er musste unbedingt mit Lavonne sprechen. Sie mussten sich dringend überlegen, wie sie mit der Polizei verfahren sollten und wie sie eine Anklageerhebung durch den Bundesstaatsanwalt abwenden konnten. Außerdem wusste er immer noch nicht, was da eigentlich lief.
»Jess.«
Er warf einen Blick über die Schulter. »PJ.«
Sein Bruder, der auf einem Sofa am Empfang gesessen hatte, stand auf und rieb die Handflächen an den Hosenbeinen, als wollte er sich den Schweiß abwischen. »Hast du einen Augenblick Zeit?«
Keine Sekunde, hätte Jesse am liebsten gesagt. Er öffnete den Mund, klappte ihn jedoch gleich wieder zu. PJ sah ihn fragend an.
»Klar, aber nicht lange. Komm mit.«
PJ musste in Laufschritt fallen, um ihn einzuholen. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Khakihose und schien sich förmlich in seinem Hemd zu verkriechen. Die Leute, denen sie im Gang begegneten, starrten sie an. Und das bestimmt nicht, weil sie sich über den Besuch freuten.
Vor Lavonnes Büro stoppte Jesse und klopfte an die Tür.
»Ist offen«, kam es von drinnen. Lavonne spähte ihn über ihre Lesebrille hinweg an.
»Du warst nicht beim Kolloquium. Ich nehme an, das hat seine Gründe«, sagte sie.
»Über mich ist ein Tornado hereingebrochen.«
Lavonne warf einen Blick auf PJ und zog eine Braue hoch.
Jesse schüttelte den Kopf. »Was anderes.«
Die widerspenstigen schwarzen Locken fielen ihr ins Gesicht. »Ich bin hier.«
Er führte PJ zu seinem Büro und schloss die Tür. PJ trat zum Fenster.
»Du, es tut mir leid, aber ich habe wenig Zeit. Ist was passiert?«
PJ lachte freudlos.»Duvermutest wohl immer das Schlimmste. Könnte doch sein, dass ich dich nur zum Essen einladen möchte.«
»Wolltest du das?«
Das trug ihm einen langen, nervösen Blick ein. »Nein.« PJ schlenderte zum Schreibtisch und griff nach einem Bleistift. »Ich wollte, äh …«
Jesse breitete die Hände aus. »Komm zur Sache, PJ.«
PJ tippte mit dem Bleistift auf Jesses Terminkalender herum. »Ich dachte, ich suche mir einen Job.«
»Oh. Ja, natürlich – gute Idee. Wo denn?«
PJ attackierte erneut den Terminkalender. »Hier.«
Jesse spürte, wie seine Hände eiskalt wurden.
»Ich dachte, du könntest ein gutes Wort für mich einlegen.«
Ein gutes Wort für ihn einlegen? PJ hatte wegen eines Verbrechens im Gefängnis gesessen und war lange Jahre drogensüchtig gewesen. Jesse liebte seinen Bruder, aber das hieß noch lange nicht, dass er ihn in der Kanzlei haben wollte.
PJ räusperte sich. »Evan arbeitet auch für euch.«
»Freiberuflich, ja. Und …«
Vergiss es, dachte er sich. Die Erwähnung von Evan war nur ein politischer Schachzug. Jesse sollte
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