Vermisst: Thriller (German Edition)
Stirn. Für einen Augenblick hatte es ihm die Sprache verschlagen.
»Deine Freundin ist nicht hier«, stellte Farelli fest. »Sie ist mit dem Todesschützen weggefahren.«
Jesse sah ihn verständnislos an. »Wie bitte?«
»Du hast beobachtet, wie der Mercury ihr gefolgt ist? Warum?«
»Was soll das heißen, sie ist mit dem Schützen weggefahren?«
Farellis Gesicht war puterrot angelaufen. »Dem Fahrer des weißen Wagens wurde in den Kopf geschossen. Deine Verlobte hat dabei nicht nur zugeschaut, sie ist auch noch zu dem Mörder ins Auto gestiegen und mit ihm abgerauscht.«
Jesse war schwindlig. Tim North. Verdammt noch mal.
»Und das ist noch nicht alles. Im Auto des Opfers hat die Polizei etwas gefunden.« Er umrundete den Streifenwagen, Jesse folgte ihm. »Higgins«, rief Farelli einem Kriminaltechniker zu. »Haben Sie die Jacke?«
Der Beamte nickte und hielt einen versiegelten Plastikbeutel mit einer blauen Windjacke in die Höhe, auf deren Rücken unübersehbar die Aufschrift ICE prangte.
»Weißt du, wofür das steht?«
Natürlich wusste Jesse das, auch wenn er es sich nicht erklären konnte.
Tim North war ein eiskalter Killer. Phil Delaneys dunkle Vergangenheit hatte zu dieser Katastrophe geführt. Er selbst war zu spät gekommen. Und Evan steckte in Schwierigkeiten. So weit die Fakten.
Farelli verschränkte die Arme. »Bis jetzt dachte ich, deine Freundin will einfach ihrem Vater helfen. Ich wollte sie nicht vorschnell verurteilen, weil ich dich immer für einen anständigen Menschen gehalten habe. Das wird mir eine Lehre sein.«
»Drew, Evan ist in Gefahr. Wir müssen sie finden, bevor ihr was zustößt.«
Farelli schüttelte den Kopf. »Man hat sie gesehen, wie sie in das Auto stieg. Freiwillig. Evan Delaney ist vom Ort eines Verbrechens geflohen.«
Die nasse Straße glänzte in der Sonne. Von dort, wo Jesse jetzt stand, konnte er die Beine des Opfers erkennen. Eine schmutzige Jeans und schwere Stiefel, die in einem merkwürdigen Winkel auf der Fahrbahn lagen. Er wandte den Blick ab.
»Das da drüben ist ein Bundesagent. Einer von uns.« Farelli presste die Lippen zusammen, um seiner Gefühle Herr zu werden. »Da kennt keiner von uns Gnade. Mord und unerlaubtes Entfernen vom Ort eines Verbrechens, um der Strafverfolgung zu entgehen. Der Haftbefehl ist schon beantragt. In etwa einer halben Stunde wird deine Evan als flüchtige Straftäterin geführt.«
»Drew, das ist doch lächerlich.«
»Die Bundesbehörden sind eingeschaltet. Ich hab gerade mit meinem Chef telefoniert. Die Bundesstaatsanwaltschaft wird Anklage wegen Mordes an einem Beamten der Regierung der Vereinigten Staaten erheben. Jetzt wirst du Nicholas Gray erst richtig kennenlernen.«
»Drew …«
»Finde sie.« Farelli wandte sich ab und ging davon. »Heute noch. Wenn sie sich nicht stellt, ist sie erledigt.«
Ich schlängelte mich auf dem Highway 405 durch den Nachmittagsverkehr in Richtung Berge. Wir näherten uns Century City, aber wir waren viel zu langsam. Tim hustete und fluchte kaum hörbar. Seine Haut war wachsbleich, und auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Er telefonierte mit irgendeinem Kontaktmann, weil er einen Arzt brauchte, der ihn behandelte, ohne gleich die Behörden zu verständigen. Es war sein fünfter Anruf, seit wir Santa Barbara verlassen hatten.
Er legte auf und ließ die Hand in den Schoß sinken. Das Percodan aus seinem Erste-Hilfe-Kasten schien seine Nerven zu beruhigen, aber gegen die Schmerzen half es offenbar nicht.
»Besprechen wir unseren Plan«, sagte er.
»Wenn wir da sind, steige ich aus und hole das Dossier. Dann rufen wir Rio Sanger an.«
Ich warf einen Seitenblick auf sein Handy, das er fest umklammert hielt – für den Fall, dass sich sein Kontaktmann meldete.
Am liebsten hätte ich ihm das Ding aus der Hand gerissen. Die Sonne fiel durch den Dunst auf die Blechlawine, die über den Highway rollte. Unser Geländewagen rumpelte über den Sepulveda Pass: Die Tiefebene lag hinter uns.
»Falls irgendwas schiefgeht, findest du im Reserverad fünftausend Dollar in bar«, keuchte Tim mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Nimm sie dir.«
»Warum?«
»Kann sein, dass du fliehen musst.«
Ich krallte mich fester ans Lenkrad und trat das Gaspedal noch ein wenig weiter durch.
»Wirf Davies’ Handy weg. Benutz öffentliche Telefone oder kauf dir ein paar Prepaid-Handys, falls du Zeit hast.«
Er rutschte unbehaglich auf seinem Sitz hin und her, und ein metallischer Geruch stieg mir in die
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