Vermisst: Thriller (German Edition)
habe.«
Das Foto wurde von einer Videosequenz abgelöst, in der das braunäugige Mädchen am Strand spielte. Ihr entzückendes Lachen erfüllte die Luft.
»Zerstörte Leben. Hoffnungen, die sich nie erfüllen werden. Ich kann noch nicht mal …«
Ihre Stimme wurde heiser. Die kühle Distanz war verflogen. Das Flugzeug schaukelte. Ungläubig stellte ich fest, dass Jax tatsächlich Gefühle zeigte.
Einen Augenblick später hatte sie sich wieder gefasst. »Ich weiß, Regel Nummer eins lautet: kein emotionales Engagement. Das ist in meinem Fall gründlich danebengegangen.«
Sie verzog das Gesicht. »Machen wir uns nichts vor. Die Operation lief aus dem Ruder, weil ich mich mit Rios Mann eingelassen habe. Hier ist die Geschichte – für die Nachwelt.«
Sie beugte sich vor. »Hank Sanger war Doppelagent. Amerikaner, ein früherer Green Beret.« Sie lächelte eisig. »Irgendwie habe ich einen verhängnisvollen Hang zum Militär.«
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht und fragte mich, ob die Botschaft für Tim North bestimmt gewesen war.
»Hank war ein Söldner, der über Jahre hinweg in lockerem Kontakt zur CIA und den Contras gestanden hatte. Außerdem schmuggelte er Waffen für die Privatarmeen in Südostasien. Ich lernte ihn in Thailand kennen. Ich dachte, er wäre auf unserer Seite und würde uns Informationen über die Guerillas verschaffen, die Waffen an die Paramilitärs verkauften.«
Ein neuer Videoclip wurde geladen. Eine Bar: Neonreklame für Bier an den Wänden, trinkende, rauchende Gäste, ein Mann, der eine Jukebox in der Ecke mit Münzen fütterte. Die rauchige Stimme von Ray Charles erklang. Georgia on my mind.
»Praktischerweise hatte Rio überall Kameras installiert, nur für den Fall, dass sich eine interessante Situation ergab«, erklärte Jax. »Die Aufnahmen aus dem Club gab es in der Regel zum Sonderpreis.«
Unter den Männern im Lokal waren sowohl Asiaten als auch Weiße. Die Mädchen tanzten, flirteten, saßen bei den Männern auf dem Schoß. Dann öffnete sich die Eingangstür, und ein kräftiger, gut aussehender Mann mit militärisch kurzem Haarschnitt kam herein, der die Szene prüfend musterte.
»Ich wusste, dass Hank was mit Rio hatte. Er war ein Lebemann. Aber das war mir egal. Er stellte die Verbindung her und leitete Rios Filmmaterial an uns weiter.«
Sie schien ihre Worte genau abzuwägen.
»Erst als es zu spät war, fand ich raus, dass die beiden ein Kind hatten: Christian. Ich redete mir ein, Hank würde mir helfen, die minderjährigen Mädchen aus dem Bordell zu retten. Damals hatte ich keine Ahnung, dass Rio ihren Gewinn mit ihm teilte.«
Jax starrte jetzt direkt in die Kamera. »Er beschloss, mich an die Waffenhändler zu verkaufen. Die zahlten offenbar besser als die CIA.«
Moment mal. Das war nicht ganz die Geschichte, die mir Jax bei unserer ersten Begegnung aufgetischt hatte.
»Aber ich hab davon erfahren. Und dann wurde es richtig hässlich.«
Im Club bestellte sich Hank ein Getränk. Die Musik war selbst über den Lärm der Menge hinweg zu hören. Der Mann an der Jukebox drehte sich um.
Es war mein Vater.
»Extrem hässlich«, sagte Jax. »Ohne Phil Delaney hätte ich nicht überlebt.«
Er war vielleicht Mitte vierzig und wirkte aufs Äußerste gespannt. Ich streckte die Hand aus, um das Bild auf dem Monitor zu berühren.
»CIA und Außenministerium hätten mich geopfert, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Eines von Rios Kindern sprach meinen Vater an und legte ihm die Hand auf die Brust. Es war das schwarzhaarige Mädchen mit den eifrigen Augen.
Er schob die Hand weg, und das Kind verschwand in der Menge. Stattdessen trat nun Rio Sanger auf ihn zu. Und als sie ihm die Hand auf die Brust legte, ließ er es geschehen.
Seine Arme hingen locker herab, und er bewegte sich nicht, während er mit ihr sprach. Doch gleichzeitig wanderte sein Blick über ihre Schulter hinweg zu Hank Sanger, der sich wie ein Eisbrecher einen Weg durch die Menge bahnte und direkt auf sie zusteuerte.
Das Video verblasste, aber das Lied aus der Jukebox klang noch nach. Still in peaceful dreams I see the road leads back to you …
Jax tauchte wieder auf. »Phil und Tim, euch beiden verdanke ich es, dass ich noch am Leben bin. Dieser Hass darf nicht sein.«
Ich fuhr hoch und griff nach dem Laptop.
»Viele von Rios Mädchen sind verloren. Aber mich habt ihr gerettet.«
Hass – zwischen Tim und meinem Vater?
»Wie sich rausstellen sollte, war der Tod von Hank Sanger erst der
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