Vermisst: Thriller (German Edition)
nicht daran, stehen zu bleiben. Zwanzig Meter weiter drehte ich mich noch einmal um. Terry, die Stiefel in der Hand, rannte. Der Kobold war ihr hart auf den Fersen.
Ich schlug einen Haken um eine Gruppe japanischer Touristen und bog um eine Ecke. Der heiße Betonboden brannte sich durch meine Socken. Ich rauschte direkt in eine Gruppe junger Mönche hinein und blieb wie angewurzelt stehen. Verschreckt zupften die Männer ihre Kutten zurecht.
Ich hob die Hände. »Entschuldigung.«
Dann kam mir ein Gedanke. Mönche. Zuflucht. »Könnten Sie …«
Hinter mir ertönte eine klagende Stimme. Der Kobold jagte Terry vor sich her und jammerte dabei laut vor sich hin. Die eine Hand hatte das kleine Monster vors Gesicht geschlagen, um seine Augen und sein wahres Alter zu verbergen. Die Mönche runzelten die Stirn und warfen mir schräge Blicke zu. Der Wechselbalg brüllte erneut, wahrscheinlich »Dieb« oder »Perverse«.
Es lag auf der Hand, wie die Situation auf Außenstehende wirken musste: zwei abgerissene Weiße, die vor einem verbrannten, jammernden Kind fliehen. Zu allem Überfluss umklammerte ich auch noch ein Päckchen, das ganz offensichtlich Drogen enthielt.
Um dem Zorn der heiligen Männer zu entgehen, stürmte ich blindlings weiter, wich Touristen aus, schlängelte mich zwischen Chedis durch, schlitterte um Ecken und überquerte einen Hof. Dabei geriet ich immer tiefer in die Tempelanlagen hinein. Hinter mir hörte ich das Heulen des Kobolds und wütende Männerstimmen. Ich huschte um eine Ecke und landete in einem Hof mit einer langen Galerie von Buddhas. Weit und breit war keine Deckung in Sicht, und die aufgebrachten Mönche konnten nicht mehr weit sein.
Während ich mich noch nach einem Fluchtweg umsah, klingelte in den Tiefen meines Rucksacks mein neues Handy.
Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich blieb stehen, schlüpfte in meine Schuhe, öffnete den Rucksack und stopfte das Päckchen hinein. Das Handy klingelte immer noch. Ich kramte es heraus. Sofern ich nicht gerade eine Kreuzfahrt zu den Bermudas gewonnen hatte, konnte das nur ein Mensch sein. Atemlos meldete ich mich.
»Ev? Na endlich. Ich muss dir was …«
»Oh Gott, Jesse.« Mit dem Telefon in der Hand rannte ich weiter.
»Ich kann dich kaum hören. Wo bist du?«
»Bangkok.«
Das Schweigen am anderen Ende war bedeutungsschwer. »Was tust du da?«
Schritte näherten sich. Hinter einer Familie, die durch die Galerie mit den Buddhas schlenderte, sah ich den Kobold heransprinten. Das Monster rannte die kleine Tochter der Familie mit solcher Wucht um, dass die leuchtend orangefarbenen Flipflops durch die Luft flogen.
Ich hielt inne, um nach der Kleinen zu sehen, aber der aufgebrachte Vater hatte meine Verfolgerin schon am Arm gepackt. Ich stürzte los.
»Ich steck in Schwierigkeiten«, keuchte ich ins Handy. Soeben war ich in einem anderen Hof gelandet. »Verdammt noch mal, wie komm ich hier raus?«
»Wo raus?«
»Aus diesem Tempel. Wat Po.«
Diesmal dauerte das lastende Schweigen noch länger, doch als Jesse endlich sprach, klang seine Stimme völlig ruhig.
»Bist du in der Nähe des liegenden Buddhas?«
»Was?«
»Die riesige Goldstatue, die auf der Seite liegt.«
»Ich hab keine …« Als ich um die nächste Ecke bog, sah ich plötzlich wieder den belebten Platz vor mir, wo ich losgerannt war. Ich war im Kreis gelaufen. »Ja, ich bin ganz in der Nähe.«
»Nimm das Tor.«
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. »Wovon redest du?«
»Einem Tor. In der Wand ist ein Bogendurchgang – ein Tor auf die Straße, wo die Taxis und Straßenhändler stehen. Phong Chat Road, Chan Chick, irgendwas in der Art.«
Jetzt sah ich den Ausgang. »Chetuphon Road?«
»Ja, genau.«
Ich warf einen letzten Blick über die Schulter, konnte aber in dem Gedränge weder den Wechselbalg noch Terry entdecken. Durch das Tor gelangte ich auf eine belebte Straße mit Bäumen, die in der dicken Luft ums Überleben kämpften. Busse ratterten vorbei. Tuk-Tuk-Fahrer winkten mich einladend zu sich. Ich sprang in das erste Gefährt.
»Bin draußen.«
»Gut. Halt dich von diesen Tuk-Tuks fern. Die bleiben im Verkehr stecken.«
Ich stöhnte und sprang wieder auf den Gehweg. »Was dann?«
»Lauf.«
Unter der gleißenden Sonne hastete ich über den glühend heißen Boden.
Seine Stimme klang angespannt. »Hast du sie abgeschüttelt?«
»Vielleicht.« Ein zweiter Blick. Immer noch niemand in Sicht. »Schaust du dir die Karte von Bangkok im Internet
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