Verneig dich vor dem Tod
von Hügel oder Wald, nichts als das ebene Moor. Weißer pulveriger Schnee erstreckte sich weithin, ohne Biegungen, in denen sich Wehen sammeln konnten.
»Unwirtlich ist kaum der richtige Ausdruck für dieses Wetter, mein Freund«, bemerkte Eadulf und erschauerte leicht. »Du wirst doch sicher lieber über Nacht in der Abtei bleiben, Mul, als nach Frig’s Tun weiterfahren?«
»Bei Thunors Hammer! Ich würde weder diese Nachtnoch überhaupt eine Nacht in Aldreds Abtei bleiben – und wenn du mir drei Pennies zahlen würdest statt des einen, den du mir versprochen hast«, widersprach der Bauer energisch. »Ich bete, daß sie untergeht!«
Überrascht von seinem heftigen Ton, starrte Eadulf ihn durch das Schneetreiben an.
»Wovor fürchtest du dich in der Abtei?« wollte er wissen.
»Jeder weiß, daß der Teufel dort eingezogen ist.«
»Der Teufel?« Eadulfs Augen weiteten sich leicht. »Das ist eine kühne Behauptung, und eine schlimme dazu, wenn du von einer christlichen Gemeinschaft sprichst.«
Mul zuckte gleichgültig die Achseln.
»Warst du lange aus diesem Land fort?« fragte er, und Eadulf glaubte einen Moment, er wolle das Thema wechseln.
»Mehrere Jahre«, bestätigte er nach kurzem Zögern.
»Na, dann sage ich dir, Eadulf von Seaxmund’s Ham, daß sich viele Dinge hier in dieser Gegend geändert haben. Manchmal ist es nicht einmal klug, zuzugeben, daß man dem neuen Glauben angehört.«
Eadulf wurde ungeduldig. Ihm mißfielen Leute, die nicht genau erklärten, was sie meinten, und das sagte er auch.
»Ich habe von dem Konflikt im Königreich der Ost-Sachsen gehört. Aber ich verstehe nicht, was das mit Aldreds Abtei und dem Übel dort zu tun hat. Sag klar und deutlich, was du meinst, Mul.«
»Ich kann nicht mehr sagen als das: Der Teufel hat seinen Schatten über Aldreds Abtei geworfen. Und jetzt laß mich weiterfahren, ehe wir alle erfrieren. Aber nimm dich in acht, Bruder, nimm dich und deine Gefährtin in acht. Eslastet ein brütendes Übel auf der Abtei. Ich habe gehört, daß …«
Er brach mitten im Satz ab, zuckte noch einmal die Achseln und knallte mit der Peitsche. Der Wagen zog mit einem Ruck an, der Eadulf auf seinen Sitz zurückwarf.
»Hast du das gehört und verstanden?« fragte Eadulf in der Sprache von Éireann und lehnte sich an Fidelma.
Fidelma blickte ihn in dem Dämmerlicht an.
»Ich habe nicht alle Nuancen erfaßt, aber den Sinn verstanden«, gab sie zu. »Bauer Mul fürchtet sich vor der Abtei. Soviel ist mir klar. Tut er das, weil er Heide ist und Angst hat vor der neuen Religion?«
»Vielleicht«, meinte Eadulf. »Es könnte an einem heidnischen Bauernaberglauben liegen. Wer weiß?«
»Ich nehme an, euer sächsisches Wort
diofol
ist dasselbe wie unser Wort
díabul
?«
»Ja. Luzifer, Satan … der Teufel.« Eadulf nickte.
Fidelma überlegte einen Moment.
»Seltsam, daß ein Heide so etwas von einem christlichen Haus sagt. Übrigens, dieser Freund von dir … Der dir die Botschaft nach Canterbury schickte …?«
»Bruder Botulf?«
»Ja, der. Bruder Botulf. Hat er dir wirklich mit keinem Wort erklärt, weshalb er dich so dringend sehen möchte?«
Eadulf schien schmerzlich berührt. »Ich habe dir nichts verheimlicht. Du weißt ebensoviel wie ich. Er hat mir nur ausrichten lassen, ich solle unbedingt heute vor Mitternacht in der Abtei sein.«
Fidelma atmete tief und verärgert aus. »Aber warum heute um Mitternacht? Hat dieser Tag eine besondere Bedeutung für euch?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Neigt er dazu, Dinge unnötig zu dramatisieren?«
»Überhaupt nicht. Er ist ein humorvoller und fröhlicher Mensch. Der heilige Fursa bekehrte ihn, als er nach Gallien ging. Bruder Botulf war einer der ersten, die Aldred halfen, die Abtei zu gründen. Aldred starb vor einigen Jahren, und Botulf ist jetzt der Verwalter der Abtei. Es stimmt zwar, daß ich ihn Jahre nicht gesehen habe, aber die Menschen ändern ihren Charakter nicht. Er stellt keine unnützen Forderungen. Wenn er will, daß ich heute vor Mitternacht in der Abtei sein soll, dann hat er einen guten Grund dafür.«
Eine Weile schwiegen sie, schließlich sprach Fidelma.
»Nun, wie ich schon oft gesagt habe, Eadulf, es hat keinen Zweck, ohne genaue Kenntnis der Dinge Vermutungen anzustellen. Wir müssen warten, bis wir diese Kenntnis haben.«
Wenn sie gedacht hatten, daß die Fahrt auf dem Moorweg leichter wäre, so wurde ihnen diese Illusion bald genommen. Der Wagen kam zwar voran, aber er schleuderte
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