Verneig dich vor dem Tod
durch den Wald. Dann wandten sich die Tiere ab und verschwanden im Dunkel der Bäume. Anfangs hörten sie noch ihre Rufe, schließlich verklangen auch die.
Zu ihrer Überraschung stellten sie fest, daß Mul inzwischen bereits abgestiegen war, während sie nur auf die Wölfeachteten, und Zweige unter die Räder schob, damit sie fassen sollten. Gleich darauf saß er wieder auf dem Kutschbock, und der Wagen rumpelte weiter vorwärts, brach aber seitlich aus und geriet in eine Wehe, aus der der Schnee in den Wagen stürzte und sie fast begrub. Die kalten Flokken fanden ihren Weg in ihre Pelze und in Nase, Mund und Augen. Schnaubend und spuckend machten sie sich frei.
Der Wind ließ ein wenig nach. Mul wandte sich um und rief zu ihnen hinunter: »Hier gibt es zu viele Schneewehen. Ich versuch’s mit dem Weg durchs Moor. Da ist der Wind schärfer, aber er findet keine Senken, die er zuweht und in denen wir steckenbleiben.«
Eadulf hob die Hand zum Zeichen, daß er verstanden hatte.
»Geht’s dir gut, Fidelma?« fragte er erneut und beugte sich zu ihr.
Fidelma verzog zweifelnd das Gesicht. »Wenn du dauernd danach fragst, nehme ich an, daß du dir Sorgen machst. Weißt du, wie weit es noch bis zur Abtei ist?«
»Nicht sehr weit. Der Weg durchs Moor führt über flaches Land zum Fluß, und die Abtei liegt gerade gegenüber.«
»Müssen wir bei diesem Wetter auf einer Furt durch den Fluß?«
Eadulf schüttelte den Kopf. »Soweit ich mich erinnere, gibt es eine Brücke, Gott sei’s gedankt.«
»Na, wenigstens das ist tröstlich.«
Die hin und her pendelnden Laternen beleuchteten die nebeldichten Schneeschauer, die diagonal bald aus dieser, bald aus jener Richtung heranfegten, wie der Wind sich in wilden Stößen drehte. Wäre es nicht so kalt gewesen, hättees etwas Schutz vor den tobenden Elementen gegeben, dann wäre es ein schöner Anblick gewesen. Der Schneesturm schien eher noch anzuschwellen, und die wirbelnden Eiskügelchen blendeten sie fast.
Plötzlich spürten sie, wie der Wagen wieder wegrutschte und hielt.
Eadulf sah, daß der Bauer sich erhob, und hörte ihn fluchen und alle Götter seiner Väter anrufen. Er beschloß, die heidnischen Verwünschungen zu überhören.
»Was ist?« fragte er.
»Diesmal muß ich ihn frei schaufeln«, antwortete Mul grimmig.
»Ich helfe dir«, erbot sich Eadulf. Er wandte sich zu Fidelma um und fügte unnötigerweise hinzu: »Bleib, wo du bist, und versuch dich warm zu halten.«
»Ich glaube nicht, daß ich jemals wieder warm werde«, erwiderte Fidelma trostlos.
Der Wagen war seitwärts in eine große Schneewehe gerutscht und hatte sich mit den Hinterrädern bis über die Achse eingegraben. Mul hatte sich einen Spaten gegriffen, der an der Seite des Wagens angebunden war, und schaufelte bereits wütend drauflos. Große Schneebatzen flogen von seinem Spaten. Er hielt inne, richtete sich auf und wies auf eine Hecke auf der anderen Seite des Weges. Der Wind hatte sie vom Schnee befreit und ihn auf der Seite aufgehäuft, wo der Wagen darin versunken war.
»Such nach trockenem Holz, das wir unter die Räder schieben können.«
Eadulf beantwortete die Anweisung mit einer zustimmenden Handbewegung und machte sich an die Arbeit.
Es dauerte einige Zeit, bis die geduldigen Tiere, unterstütztdurch Muls und Eadulfs Schieben und Schreien, den schweren Wagen herausgezogen hatten. Eadulf kehrte mit durchnäßter Kleidung an seinen Platz auf dem Wagen zurück, denn er hatte bis zum Gürtel in der Schneewehe gestanden, und die Kälte schnitt ihn wie mit Messern.
Sie hatten den Kamm eines Hügels erreicht, und der Wind wurde fast unerträglich. Die Eiskügelchen prasselten wie Kiesel auf die hölzernen Planken. Eadulf reckte sich und starrte an Mul vorbei auf den Weg vor ihnen. Mul merkte es und deutete mit der Hand nach vorn.
»Noch um die Bäume herum, dann biegen wir auf den Moorweg ein«, meinte er tröstend. »Von dort aus könntest du ohne den Schneesturm schon den Fluß Alde von weitem sehen. Der Moorweg führt zur Brücke, und die Abtei liegt gleich dahinter.«
»Also höchstens noch eine Meile«, stellte Eadulf zufrieden fest. »Wir sind bereits ganz nahe, und es ist noch lange vor Mitternacht.«
»Mitternacht? Bis dahin will ich längst auf meinem Hof sein und schlafen«, erklärte der Bauer.
Eadulf spähte mit zusammengekniffenen Augen durch den treibenden Schnee. Als der Wagen um die Bäume bog, sah er nur noch eine weite Weiße der Landschaft, keinen Schatten
Weitere Kostenlose Bücher