Verneig dich vor dem Tod
deiner Irreligiosität ihre Schuld nicht erkennen. Die geheimnisvollen Ereignisse traten erst ein, als ihr beide in dieses Königreich kamt. Deshalb klage ich sie an. Ich meine, daß sie für den Teufel arbeitet oder durch teuflische und andere Künste Bilder heraufbeschwört, die der Teufel ersonnen hat, um die Seelen der frommen Brüder dieser Gemeinschaft zu verwirren und zu umgarnen. Es ist meine Pflicht, sie vor der Verdammnis zu bewahren!«
»Ohne die anzuhören, die du beschuldigst? Während sie krank liegt und nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen?« Eadulf kochte vor Zorn. »Ich sage dir, Cild, du überschreitest deine Befugnisse. Du glaubst an Auge um Auge. Sollte Schwester Fidelma etwas zustoßen, dann wirst du am eigenen Leibe erfahren, was Rache bedeutet. Das schwöre ich dir.«Abt Cild lehnte sich zurück und betrachtete Eadulfs zornige Miene. Seine Mundwinkel senkten sich herab.
»An einem fehlt es dir nicht, Eadulf von Seaxmund’s Ham, und das ist Mut. Du drohst mir in den Mauern meiner eigenen Abtei? Ich könnte dich hinausführen und auspeitschen lassen, ja sogar als heidnischen Ketzer verbrennen lassen, weil du es wagst, dich über die heiligen Worte der Schrift hinwegzusetzen. Ich habe bewaffnete Brüder bei der Hand. Was meinst du, was ich angesichts deiner Drohungen tun sollte, Bruder Eadulf?«
Eadulf starrte ihn trotzig an.
»Ich weiß nicht, was du tun willst, Cild. Ich kann das nicht voraussagen, denn du scheinst für deine Handlungen niemandem verantwortlich zu sein. Aber eins will ich dir sagen. Wenn Schwester Fidelma oder mir etwas zustößt, lädst du eine Vergeltung auf dich, die schwerer sein könnte, als du es dir vorstellst.
Schwester Fidelma ist die leibliche Schwester des Königs von Cashel. Sie ist eine hoch angesehene Geistliche, war Teilnehmerin an der Synode von Whitby, hat den Lateranpalast in Rom besucht und ist Anwältin bei ihrem Volk. Glaubst du, du kannst ungestraft gegen sie vorgehen? Ich bin als Abgesandter Erzbischof Theodors von geringer Bedeutung im Vergleich zu ihr. Doch so unwichtig ich bin, wird Erzbischof Theodor König Ealdwulf zur Rechenschaft ziehen, wenn mir etwas passiert, und Ealdwulf wird wissen wollen, warum seine Ruhe von Canterbury her gestört wird.«
Nach diesen Worten Eadulfs trat ein längeres Schweigen ein.
Dann lächelte Abt Cild tatsächlich. Es war kein angenehmes Lächeln.
»Du hast gut argumentiert. Jetzt sage ich dir, was ich tun werde. Ich werde warten, bis Schwester Fidelma von ihrer Krankheit genesen ist, und dann werden wir den Fall in aller Form verhandeln. Wenn es sich erweist, daß sie nichts mit der Geisterbeschwörung in dieser Abtei zu tun hat, dürft ihr eure Reise fortsetzen. Welches Geflüster der Toten euch auch hergebracht haben mag, es wird wieder ins Totenreich versenkt. Verstehst du mich?«
»Wie soll man sich gegen einen so ungreifbaren Vorwurf wie den der Totenbeschwörung verteidigen?« wollte Eadulf wissen.
Abt Cild breitete die Hände aus. »Das ist nicht meine Sorge. Wenn sie unschuldig ist, soll sie es beweisen.«
»Und wer entscheidet, ob sie unschuldig oder schuldig ist?«
»Ich«, antwortete der Abt ungerührt.
»Und wenn du entscheidest, daß sie schuldig ist?«
»Die Strafe dafür ist im Gesetz der Wuffingas vorgesehen, dem Gesetz unseres Volkes, wie es uns von Wuffa, dem Sohn Wehhas, überliefert ist.«
Eadulf überlief es kalt. Als
gerefa
kannte er das Gesetz gut, doch was ihn stärker erschreckte, war die Tatsache, daß Abt Cild offensichtlich geistesgestört war und keine Gnade kannte.
»Abgewandelt durch die Anwendung des neuen Glaubens?« fragte er hoffnungsvoll.
Abt Cild schüttelte den Kopf. »Ich sehe keinen Grund, weshalb das Gesetz der Wuffingas abgewandelt werden sollte. Die Strafe für das Beschwören von Dämonen und Geistern ist klar … Die schuldige Frau wird mit dem Gesicht nach unten in eine Grube gelegt und begraben – lebendig!«
KAPITEL 9
Als Eadulf vom Abt kam, begegnete ihm der flachsblonde Bruder Higbald, der Apotheker der Abtei. Higbald begrüßte ihn besorgt, aber freundlich mit derselben fröhlichen und humorvollen Miene wie am Vormittag. Dieser Humor schien seine natürliche Haltung zu sein und erinnerte Eadulf an Aldheres spöttische Einstellung zum Leben.
»Also hast du schon gehört, Bruder Eadulf, daß eine Massenhysterie über unsere arme Gemeinschaft hereingebrochen ist?«
Eadulf blieb überrascht stehen. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was
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