Verneig dich vor dem Tod
verschwunden. Niemand habe die Leiche gesehen. Woher weißt du dann, daß Botulf ihren Tod bezeugen konnte?«
Bruder Higbald schwieg wieder, schließlich wandte er sich stirnrunzelnd zu Eadulf um.
»Ich habe nie gehört, daß sie allein gewesen sei, als sie ums Leben kam«, erwiderte er zögernd. »Ich meine sogar, Bruder Botulf hat mir die Geschichte selbst erzählt.«
»Berichte mir, was Botulf genau gesagt hat. Kannst du dich daran erinnern?«
Bruder Higbald überlegte einen Moment.
»Das war vor mehreren Monaten. Irgendwie, ich weiß nicht mehr, wodurch, kamen wir auf die Frau des Abts zu sprechen. Bruder Botulf sagte … Ach, er habe die Lady im Stich gelassen. Er sei schuld an ihrem Tod. Irgendwas in der Art. Doch, jetzt fällt es mir ein! Botulf sagte, er habe darin versagt, Gélgeis vor dem Unheil zu schützen, das ihr hier begegnet sei. Daß ihr Gesicht im Tode ihn verfolge. Dann … Das war alles. Er brach das Gespräch plötzlich ab.«
Eadulf schwieg und dachte über das Gehörte nach. Erfand nichts Greifbares darin, aber viel Stoff für Vermutungen. Er seufzte leise.
Sie erreichten das Gästezimmer, vor dem der stämmige Bruder noch immer Wache stand.
Bruder Higbald begrüßte ihn spöttisch.
»Wie geht’s deiner Gefangenen, Bruder Beornwulf? Hat sie versucht zu entkommen und dich mit den Kräften des Bösen zu überwältigen?«
Der stumme Bruder Beornwulf trat von einem Fuß auf den anderen und sah den scherzenden Apotheker finster an.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Bruder Higbald besänftigend und tätschelte ihm den Arm. »Du tust nur, was man dir befohlen hat. Der Abt hat dir befohlen, hier zu stehen, deshalb stehst du hier, bis er dir sagt, du kannst gehen.« Kopfschüttelnd schaute er Eadulf an. »Es ist immer gut, wenn man seinen Platz und seine Pflicht kennt«, sagte er lächelnd. Dann öffnete er die Tür des Gästezimmers, ging hinein und winkte Eadulf, ihm zu folgen. Als er die Tür schloß, verzog er das Gesicht. »Bruder Beornwulf besitzt gute, starke Arme, doch ihm fehlt die geistige Beweglichkeit. Er tut, was man ihm sagt, nicht mehr und nicht weniger.«
Fidelma lag noch immer auf ihrem Bett, in Decken gehüllt und vom Fieber gepackt.
Bruder Higbald berührte ihre feuchte Stirn mit dem Handrücken. Sie stöhnte leise, hielt aber die Augen geschlossen.
»Ach ja,
febricula incipit-
das Fieber hält an. Es gibt noch keine Veränderung, Bruder Eadulf«, sagte er. »Das war zu erwarten. Du kennst das ja, nicht wahr?«
Eadulf nickte. »Ich würde ihr trotzdem etwas verordnen, was ihr gegen das Fieber hilft und es senkt.«
»Dem stimme ich zu. Was schlägst du vor?«
»Einen Aufguß von Wermut, Katzenminze …?«
»
Ich
würde Teufelsabbiß vorschlagen«, antwortete Bruder Higbald bestimmt.
»Ebenso gut«, pflichtete ihm Eadulf bei.
Bruder Higbald nahm seinen kleinen Beutel von der Schulter. »Zufällig habe ich schon etwas vorbereitet.«
Eadulf nahm die winzige Amphore, die der Apotheker ihm gab, entstöpselte sie und roch daran. Dann nickte er.
»Soll ich ihr das geben?« fragte er.
Bruder Higbald signalisierte Zustimmung.
Eadulf schob vorsichtig die Hand unter Fidelmas heißen, schweißgebadeten Kopf und hob ihn an. Sie stöhnte unwillig, aber Eadulf setzte ihr die kleine Amphore an die Lippen, drückte sie sanft auseinander und ließ die Flüssigkeit in den Mund tröpfeln.
»Ein, zwei große Schlucke«, ordnete Bruder Higbald an. Mühsam flößte ihr Eadulf die Medizin ein.
»Du kannst ihr später noch mal etwas geben, wenn das Fieber nicht nachläßt. Aber sie ist eine starke, gesunde Frau. Ich denke, dafür sollten wir dankbar sein.«
Eadulf stellte die Amphore auf den Seitentisch.
»Nun müssen wir abwarten«, sagte Bruder Higbald zufrieden. »Ich überlasse dir die Wache, mein Freund, aber ich meine wirklich, ihr solltet meinem Rat folgen und aus diesem Haus bei der ersten Gelegenheit fliehen.«
Er ging rasch hinüber zu der Wand, an der ein großer Wandteppich mit einer religiösen Darstellung hing. Mit verschwörerischer Miene schaute er sich um.
»Hier hinter findet ihr einen kleinen Gang, der aus den Mauern der Abtei hinausführt. Vergeßt das nicht.«
Er zog den Vorhang beiseite. Zu Eadulfs Überraschung war eine Tür dahinter. Sie ging nach innen auf und war nicht verschlossen. Bruder Higbald öffnete sie und wies hindurch in die Dunkelheit.
»Folgt dem Gang, nehmt die beiden ersten Abzweigungen nach links und dann die erste nach rechts. Merke dir
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