Veronica beschließt zu sterben
es die Vorahnung
von etwas Bösem, des Unfalls eines ihrer Kinder. Sie raste
nach Hause. Beide saßen vor dem Fernseher und aßen Popcorn.
Die Traurigkeit aber ging nicht vorüber. Zedka legte sich
ins Bett, schlief beinahe zwölf Stunden, und als sie aufwachte, hatte sie keine Lust aufzustehen. Die Geschichte
von Preseren hatte das Bild ihres ersten Geliebten, von dem
sie nie wieder etwas gehört hatte, auferstehen lassen.
Und Zedka fragte sich: War ich beharrlich genug? Hätte
ich die Rolle als Geliebte akzeptieren sollen, anstatt zu wollen,
daß die Dinge sich so entwickelten, wie ich es erwartete?
Habe ich um meine erste Liebe genauso gekämpft wie für
mein Volk?
Zedka redete sich zwar ein, daß sie genug gekämpft hatte,
doch die Traurigkeit verging nicht. Was ihr früher wie das
Paradies vorgekommen war, das Haus am Fluß, der Mann,
den sie liebte, die Kinder, die vor dem Fernseher Popcorn
aßen, wurde ihr nun zur Hölle.
Inzwischen, nach vielen Astralreisen und vielen Begegnungen
mit entwickelten Geistern, wußte Zedka, daß dies Unsinn
war. Sie hatte ihre unerfüllte Liebe als Entschuldigung, als
Vorwand genommen, um das Band zu dem Leben zu
zertrennen, das sie führte und das weit davon entfernt war,
das zu sein, was sie in Wahrheit für sich erwartete.
Doch vor zwölf Monaten war die Situation anders gewesen: Sie hatte wie wild versucht, den fernen Mann zu finden,
hatte ein Vermögen für Ferngespräche ausgegeben, doch er
wohnte nicht mehr in der Stadt von damals, und es war
unmöglich gewesen, ihn zu lokalisieren. Sie verschickte Eilbriefe, die alle ungeöffnet wieder zurückkamen. Rief sämtliche Freundinnen und Freunde an, die ihn gekannt hatten,
doch niemand hatte die leiseste Ahnung, was aus ihm geworden war.
Ihr Mann merkte nichts, und das machte sie rasend. Denn er
mußte doch wenigstens etwas ahnen, eine Szene machen, sich
beklagen, ihr drohen, daß er sie auf die Straße setzen würde.
Sie redete sich ein, sämtliche Telefonistinnen beim Fernamt,
ihre Freundinnen, selbst der Postbote seien von ihm
bestochen worden, damit sie so taten, als wäre alles ganz
normal. Sie verkaufte den Schmuck, den er ihr zur Hochzeit
geschenkt hatte, und kaufte ein Flugticket, bis jemand sie
davon überzeugte, daß Amerika riesengroß sei und es nicht
lohne, dorthin zu fahren, wenn man nicht genau wußte, wo
man mit Suchen anfangen wollte.
Eines Nachmittags legte sie sich ins Bett und litt so große
Liebesqualen wie nie zuvor, selbst damals nicht, als sie in
den langweiligen Alltag von Ljubljana zurückgekehrt war.
Sie verbrachte die ganze Nacht und die beiden folgenden
Tage im Schlafzimmer. Am dritten Tag rief ihr Mann den
Arzt. Wie rührend er war. Wie besorgt um sie! Begriff dieser
Mann denn nicht, daß Zedka dabei war, sich mit jemand
anderem zu treffen, Ehebruch zu begehen, ihr Leben einer
geachteten Frau gegen das einer heimlichen Geliebten einzutauschen und Ljubljana, ihr Haus, ihre Kinder für immer
zu verlassen?
Der Arzt kam, sie hatte einen Nervenzusammenbruch,
schloß sich im Zimmer ein und machte erst wieder auf,
nachdem er gegangen war. Eine Woche später hatte sie nicht
einmal mehr Lust, ins Bad zu gehen, und verrichtete ihre
Notdurft im Bett. Sie vermochte schon nicht mehr zu denken,
ihr Kopf war voll von Erinnerungsfetzen an den Mann, der -
und davon war sie überzeugt - seinerseits auch erfolglos nach
ihr suchte.
Ihr Mann wechselte - nervtötend großzügig - die Bettwäsche, strich ihr über den Kopf, sagte, es würde schon alles
wieder werden. Die Kinder kamen nicht mehr ins Zimmer,
seit sie einem grundlos eine Ohrfeige verpaßt und es dann
geküßt und auf Knien angefleht hatte, ihr zu vergeben, und
sie ihr Nachthemd in Fetzen gerissen hatte.
In der Woche darauf, in der sie jegliche Nahrung verweigerte, die man ihr einflößte, zwischen Traum und Wirklichkeit
hin und her pendelte, nächtelang wach lag und tagelang
schlief, waren zwei Männer ohne anzuklopfen in ihr Zimmer gekommen. Einer hielt sie fest, der andere gab ihr eine
Spritze, und als sie wieder zu sich kam, war sie in Villete.
»Depression«, hatte sie den Arzt zu ihrem Mann sagen
hören. »Manchmal wird sie durch ganz banale Dinge ausgelöst, zum Beispiel durch einen Mangel an Serotonin.«
Von der Decke des Krankensaals aus sah Zedka den Krankenpfleger mit einer Spritze in der Hand kommen. Das
Mädchen war noch immer da, stand vor dem Körper, entsetzt über den leeren Blick. Einige
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