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Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Spaziergang.«
»Eigentlich möchte ich gern Klavier spielen.«
»Der Aufenthaltsraum liegt abseits, und Ihr Klavier wird
niemanden stören. Machen Sie, was Sie wollen.«
Veronikas Zittern wurde zu einem leisen, schüchternen,
unterdrückten Schluchzen. Sie kniete nieder und legte den
Kopf in den Schoß der Frau und weinte hemmungslos.
Die Krankenschwester legte ihr Buch zur Seite und streichelte ihr Haar und ließ zu, daß Traurigkeit und Weinen
von allein verebbten. Fast eine halbe Stunde blieben die beiden
so: Eine weinte, ohne zu sagen, weshalb, die andere tröstete,
ohne zu wissen, warum.
Schießlich hörte das Schluchzen auf. Die Krankenschwester
zog Veronika hoch, nahm sie am Arm und führte sie zur
Tür.
»Ich habe eine Tochter in Ihrem Alter. Als Sie hier angekommen sind, voller Infusionsballons und Schläuchen, habe
ich mich gefragt, was ein hübsches junges Mädchen, das das
Leben noch vor sich hat, wohl bewogen hat, sich umzubringen.
Dann kursierte eine Reihe von Gerüchten. Über den
Brief, den Sie zurückgelassen haben und von dem ich nie
angenommen habe, er sei der wahre Grund. Und über die
wenigen Tage, die dir wegen deines Herzleidens noch verbleiben. Das Bild meiner Tochter ging mir nicht aus dem
Kopf: Wenn sie nun beschließt, so etwas zu tun?
Warum gehen einige Menschen gegen die natürliche Ordnung der Dinge an, die verlangt, daß man um jeden Preis
überleben will?«
»Deshalb habe ich geweint«, sagte Veronika. »Als ich die
Tabletten genommen habe, wollte ich jemanden umbringen,
den ich haßte. Ich wußte nicht, daß es in mir andere Veronikas gab, die ich lieben könnte.«
»Was bringt einen Menschen dazu, sich selbst zu hassen?«
»Vielleicht Feigheit. Oder die ewige Angst, etwas falsch
zu machen, nicht das zu tun, was die anderen von einem erwarten. Vor ein paar Minuten war ich fröhlich, ich hatte
mein Todesurteil vergessen. Als ich mir aber der Lage bewußt wurde, in der ich mich befinde, erschrak ich.«
Die Krankenschwester öffnete die Tür, und Veronika ging
hinaus.
    >Sie hätte mich das nicht fragen dürfen. Was will sie verstehen,
weshalb ich geweint habe? Weiß sie denn nicht, daß ich ein
vollkommen normaler Mensch bin mit den gleichen
Wünschen und Ängsten wie alle, und daß diese Art Frage,
jetzt, da es zu spät ist, Panik in mir aufkommen läßt?<
    Während sie durch die Korridore ging, die mit denselben
schwachen Birnen beleuchtet waren wie der Krankensaal,
bemerkte Veronika, daß es zu spät war: Sie konnte ihre
Angst nicht mehr beherrschen.
    >Ich muß mich wieder in den Griff kriegen. Ich bin jemand, der das, was er sich vorgenommen hat, zu Ende
führt.<
Es stimmte, vieles in ihrem Leben hatte sie bis zum bitteren Ende gelebt - doch nur das, was unwichtig war wie
zum Beispiel einen Streit verlängern, den eine Bitte um Entschuldigung beendet hätte, oder einen Mann, in den sie verliebt war, nicht mehr anrufen, nur weil sie glaubte, daß diese
Beziehung zu nichts führte. Sie war dann unnachgiebig,
wenn es am einfachsten war, wenn es darum ging, Standfestigkeit und Gleichgültigkeit zu demonstrieren, obwohl sie
in Wahrheit eine zerbrechliche Frau war, die sich zudem nie
groß hervorgetan hatte - weder als Schülerin noch im
Schulsport und auch nicht als Friedensstifterin zu Hause.
    Sie hatte ihre kleinen Unzulänglichkeiten zwar überwunden,
aber letztlich bei dem versagt, was wichtig und grundlegend
war. Es gelang ihr, die unabhängige Frau herauszukehren,
obwohl sie sich nach jemandem sehnte, an den sie sich
anlehnen konnte. Wo immer sie hinkam, zog sie die Blicke
auf sich, und doch verbrachte sie am Ende die Nächte meist
allein im Kloster vor dem Fernseher, dessen Programme
nicht einmal richtig eingestellt waren. Sie hatte sich ihren
Freunden gegenüber immer als beneidenswerte Frau
hingestellt und ihre ganze Energie darauf verwendet, sich
diesem Selbstbild entsprechend zu verhalten. Daher verblieb
ihr keine Kraft mehr, sie selbst zu sein, ein Mensch, der wie
alle anderen auf der Welt andere Menschen brauchte, um
glücklich zu sein. Doch die anderen Menschen waren so
schwierig! Sie reagierten unerwartet, verschlossen, und
spielten - genau wie sie - die ewig Blasierten. Wenn einmal
jemand kam, der dem Leben gegenüber offener war, dann
lehnten sie ihn entweder ab oder verhöhnten ihn als »naiven
Trottel«.
    Nun, sie hatte vielleicht viele Leute mit ihrer Kraft und
Entschlossenheit beeindruckt, doch wohin hatte sie das geführt? In die Leere.

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