Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Veronica beschließt zu sterben

Veronica beschließt zu sterben

Titel: Veronica beschließt zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
Vom Netzwerk:
dann werde ich in einen Laden
mit Importgütern gehen und die besten Weine kaufen, die
mein Geldbeutel mir erlaubt, und werde sie mit einem
Ehemann trinken, den ich liebe und mit dem ich wieder lachen
will.
Und er wird lachend zu mir sagen: Du bist verrückt! Und
ich werde antworten: Na klar, ich war in Villete! Und die
Verrücktheit hat mich befreit. Jetzt, mein geliebter Mann,
wirst du jedes Jahr Urlaub nehmen und mit mir in irgendwelche gefährlichen Berge fahren, denn ich muß das Risiko
spüren, am Leben zu sein.
Die Leute werden sagen: Die war in Villete und macht
jetzt auch noch ihren Mann verrückt! Und er wird begreifen,
daß die Leute recht haben, und Gott dafür danken, daß
unsere Ehe jetzt beginnt und wir verrückt sind.«
Zedka ging hinaus und trällerte dabei eine Melodie, die
Veronika zuvor noch nie gehört hatte.
Der Tag war zwar anstrengend gewesen, aber es hatte sich
gelohnt. Dr. Igor versuchte gelassen zu bleiben, wie es sich
für einen Wissenschaftler gehörte, doch er konnte seine Begeisterung kaum für sich behalten: Die Tests für die Heilung
der Vitriolvergiftung lieferten überraschende Ergebnisse.
»Sie haben heute keinen Termin«, sagte er zu Mari, die
ohne anzuklopfen eingetreten war.
»Es geht ganz schnell. Eigentlich wollte ich Sie nur kurz
um Ihre Meinung fragen.«
>Heute scheinen alle nur kurz etwas von mir wissen zu
wollen<, sagte er sich und mußte an die junge Frau und ihre
Frage zum Sex denken.
»Eduard hat gerade einen Elektroschock erhalten.«
»Elektrokonvulsive Therapie. EKT . Nennen Sie es bitte
beim korrekten Namen, sonst könnte man meinen, wir seien
ein Verein von Barbaren.« Dr. Igor konnte seine
Überraschung fürs erste überspielen, doch anschließend
würde er nachfragen, wer das angeordnet hatte. »Und wenn
Sie meine Meinung dazu wissen wollen, dann muß ich Sie
dahin gehend aufklären, daß die EKT heute nicht mehr so wie
früher angewendet wird.«
»Aber es ist doch gefährlich.«
»Es war gefährlich, früher, als weder die genaue Voltzahl
bekannt war noch die Stellen, an denen die Elektroden angesetzt werden müssen. Viele Menschen sind während der
Behandlung an Gehirnblutung gestorben. Doch heute ist das
anders: Die EKT wird wieder angewandt, unter besseren
technischen Voraussetzungen, und hat zudem den Vorteil,
umgehend eine Amnesie hervorzurufen und die Vergiftung
durch langfristige Medikamenteneinnahme zu vermeiden.
Sie können das in psychiatrischen Fachzeitschriften nachlesen. Und verwechseln Sie bitte die EKT nicht mit den Elektroschocks der südamerikanischen Folterer!
So. Sie haben meine Meinung erfahren. Jetzt muß ich
mich wieder an meine Arbeit machen.«
»Das wollte ich überhaupt nicht wissen. Eigentlich wollte
ich wissen, ob ich die Anstalt verlassen darf.«
»Sie können sie verlassen, wann Sie wollen, und zurückkehren, wann Sie wollen, weil Ihr Mann noch genügend
Geld hat, um Ihnen den Aufenthalt an einem Ort wie diesem
zu finanzieren. Vielleicht sollten Sie mich besser fragen: Bin
ich geheilt? Und meine Antwort wird dann sein: Wovon
geheilt?
Sie werden sagen: von meiner Angst, von meinem Paniksyndrom. Und ich werde antworten: Liebe Mari, das sind
Sie schon seit drei Jahren.«
»Dann bin ich also geheilt?«
»Selbstverständlich nicht. Denn das ist überhaupt nicht
Ihr Leiden. In dem Aufsatz, an dem ich gerade arbeite und
den ich der Akademie der Wissenschaften Sloweniens vorlegen möchte (Dr. Igor wollte jetzt nichts Genaueres über
das Vitriol sagen), versuche ich das sogenannte >normale<
menschliche Verhalten zu untersuchen. Viele Ärzte vor mir
haben diese Untersuchung bereits gemacht und sind zum
Schluß gekommen, daß die Normalität nur eine Frage des
Konsenses ist. Oder besser gesagt, wenn viele Menschen
glauben, daß etwas richtig ist, dann wird es richtig.
Es gibt Dinge, die vom gesunden Menschenverstand bestimmt werden: Daß man die Knöpfe an einem Hemd vorn
anbringt, ist eine Frage der Logik, denn es wäre sehr viel
schwieriger, es seitlich oder gar auf dem Rücken zuzuknöpfen.
Andere Dinge jedoch setzen sich durch, weil immer mehr
Menschen glauben, sie müßten so sein. Ich werde Ihnen
zwei Beispiele nennen: Haben Sie sich jemals gefragt,
warum die Buchstaben auf den Tasten einer Schreibmaschine in der bekannten Ordnung verteilt wurden?«
»Nein.«
»Wir können die Tastatur QWERTY nennen, denn die
Buchstaben in der ersten Reihe sind so angeordnet. Ich habe
mich gefragt, warum das so

Weitere Kostenlose Bücher