Verplant verliebt
Ahnungslose gewesen, die dachte, ihr Freund würde am Computer nur Poker spielen. Doch jetzt wusste sie es besser. Auch wenn sie beruflich gezwungen war, sich mit solchen abstrusen Spielchen zu befassen, würde sie nichts davon an sich heranlassen.
Vielleicht ging es bei Matchmaker seriöser zu. Außerdem war ihr Analytikerhirn in den Betriebsmodus gesprungen. Wie funktionierten wohl die Algorithmen hinter dem Matching-System und welche psychologischen Erkenntnisse lagen dem zugrunde? Ob das Matching zuverlässig arbeitete? Paula hatte recht. Wenn sie das herausfinden wollte, musste sie wohl oder übel ein realistisches Profil anlegen. Doch eines würde sie gewiss nicht tun: ihr eigenes Foto hochladen oder ihren Beruf nennen. Auf keinen Fall wollte sie von irgendwem erkannt werden. Ein kleiner Schauer lief ihr über den Rücken, als sie sich vorstellte, dass Hannes über ihr Profil stolpern könnte. Er war damals zwar auf einem anderen Portal unterwegs gewesen und inzwischen verheiratet, aber sie würde sich nicht wundern, wenn er sich als Wiederholungstäter entpuppte.
Marie klickte auf „Anmelden“ und begann, ihre persönlichen Daten einzutragen. Sie stockte beim Nutzernamen. Rote Haare, grüne Augen, schwarze Katze – vielleicht etwas mit Hexe? Das erinnerte sie an ihre Grundschulzeit, als sie der dumme Marco und sein Zwillingsbruder Michael auf dem Schulweg verfolgt und laut gerufen hatten, wo sie denn ihren Besen gelassen habe. Damals wünschte sie, sie hätte tatsächlich Zauberkräfte und malträtierte vor dem Schlafengehen ihre beiden Stoffpuppen mit den Stricknadeln ihrer Mutter. Als die M&Ms am nächsten Tag tatsächlich nicht in der Schule auftauchten, bekam es Marie dann doch mit der Angst zu tun. Nach Schulschluss lief sie heulend in die Küche des Hexenhäusles und gestand ihre Voodoo-Tat. Statt mit ihr zu schimpfen, lachte ihre Mutter nur und rief die Eltern der Zwillinge an. Beide waren am Leben, lagen aber mit einer Grippe im Bett. Deswegen war sich Marie bis heute nicht sicher, ob sie nicht doch Hexenkräfte hatte. Vielleicht sollte sie eine der alten Puppen vom Dachboden holen und Karlo widmen. Sie würde ihr einen kleinen Anker auf den Oberarm malen und ihm sein blödes Grinsen austreiben.
Von diesen Gewaltphantasien inspiriert, hob Marie ihren Blick und grinste Karlo hinterlistig an. Dann tippte sie „Witch“ ein, doch eine Hexe gab es schon. Bei „Witchcraft“, also Hexerei, hatte sie mehr Glück.
Marie füllte die Felder für Alter, Größe, Gewicht, Haar- und Augenfarbe wahrheitsgetreu aus, ließ ihren Beruf aber offen. Dann suchte sie im Internet nach einer schmucken Rothaarigen ihres Alters. Sie wurde schnell fündig und lud das Bild hoch. Nun waren ihr Gesicht etwas schmaler, ihre Wimpern etwas länger und ihre Sommersprossen etwas weniger. Marie betrachtete die Stupsnase auf dem Bild und war zufrieden. Wenn es in Wirklichkeit nur auch so einfach wäre, ein hübscheres Ich zu erzeugen.
Die nächste halbe Stunde brachte Marie damit zu, den Psychotest zu machen. „Stellen Sie sich vor, Sie rutschen in der Fußgängerzone auf einer Bananenschale aus – wie reagieren Sie?“
Marie fragte sich, was sie hier bitte von ihrem Traummann erwarten sollte. Eine karategleiche Rolle zur Seite, gefolgt von einem eleganten Sprung zurück in die Senkrechte und einem lässigen „Entschuldigen Sie“? Oder vielleicht eine Slapstick-Einlage, in der er sich am Ende die Bananenschale auf den Kopf setzen würde. Leider boten die vorgegebenen Antworten keinen Raum für derartige Heldentaten. Man konnte nur wählen zwischen „beschämt schauen und schnell abhauen“, „laut fluchen und der Banane einen Tritt versetzen“ oder „herzhaft lachen“. Sie selbst entschied sich für „herzhaft lachen“ und hoffte, dass sie in einer solch glitschigen Situation tatsächlich noch Humor würde beweisen können.
Marie ging geduldig eine Frage nach der anderen durch, obwohl sie nicht überall wusste, was damit bezweckt werden sollte. Am Schluss musste sie noch individuell antworten, indem sie einige Sätze vervollständigte. Der erste Satzanfang lautete: „Von einer Beziehung wünsche ich mir ...“. Marie schrieb: „... dass sie auf Offenheit und Treue beruht, auch wenn ein ehrliches Wort manchmal weh tut.“ Marie dachte an Hannes. Der Scheißkerl hatte sie so oft betrogen, dass sie sich fragte, ob er mit dem Wort „Treue“ überhaupt etwas anfangen konnte. Auch Karlo nahm es mit der Offenheit
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