Verräterherz (German Edition)
Wohnung zu verbringen. Genaugenommen hatte ich mich darauf gefreut. Ich hatte die Zeit gut genutzt und sogar eine junge Frau dazu bewegen können, das Bett mit mir für eine Nacht zu teilen. Sie war von zweifelhaftem Ruf, wie ich zugeben muss, aber die Nacht war angenehm gewesen und am nächsten Morgen gingen wir getrennte Wege. Kurz, ich hatte mich bis dahin nicht beschwert, dass ich alleine war. Nun jedoch vermisste ich meine Eltern, denn ohne sie zu sterben, kam mir doch recht einsam und irgendwie ungerecht vor.
Das Mädchen war dafür kein Ersatz. Ich kannte es wie gesagt nicht und spürte keine emotionale Bindung zu ihm. Helfen konnte es mir ebenfalls nicht, also begann ich zu denken, dass es ebenso gut zum Teufel gehen könnte. Das musste es irgendwie gehört haben, denn es schnalzte tadelnd mit der Zunge. Einen Sterbenden tadeln … ich fand das überflüssig.
Ich weiß nicht, ob du dich in meine Situation hineinversetzen kannst, werter Leser. Eigentlich wollte ich genau das mit meinen Worten bewirken. Aber die Sache erschien mir damals selbst so unwirklich, dass ich vielleicht nun kläglich scheitere, sie dir begreiflich machen zu wollen. Ich fühlte mich wirklich ultra mies, falls diese Beschreibung besser verständlich ist und deinen Zeitnerv eher trifft.
Mein Puls erstarb. Das Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen, weil es nichts mehr gab, das es durch meine Adern pumpen konnte. Ich wechselte vom Leben zum Tod, und ich war erstaunt, wie klar ich diesen Augenblick erlebte. Den Tod erleben – mein Literat hätte hier wohl einen Einwand erhoben. Doch zurück zu dem Moment, als ich starb.
Eine gewisse Neugierde trat zutage. Ich war mir nicht sicher, ob sie zum Sterben dazu gehörte, denn eigentlich ging ich immer eher davon aus, dass da nichts mehr ist, wenn das Leben endete. Aus, vorbei, Schluss.
Stattdessen hörte ich eine Stimme direkt in meinem Kopf. Und ich wusste, dass sie zu dem Mädchen gehörte, das zuvor noch in meiner Wunde gewühlt hatte, um mir dann die Unabänderlichkeit meines Todes vorherzusagen – überflüssigerweise, wie ich gerne abermals anmerken möchte.
„ Weißt du, wer ich bin?“, fragte es. Der Zeitpunkt für Ratespiele kam mir irgendwie falsch vor. Dass ich sie noch hören konnte ebenfalls.
„ Nein“, erwiderte ich in Gedanken.
„ Dachte ich mir“, gab es schmollend zurück. Ich seufzte - ebenfalls in Gedanken, dann dachte ich: „Hör zu, ich bin gerade gestorben. Ich habe nicht sonderlich viel gesehen von der Welt, in meinen einundzwanzig Lebensjahren. In Paris wurde ich geboren, und soeben starb ich hier. Ich bin nicht vertraut mit einer Gestalt wie dir. Entweder, du bist das aufdringlichste Gör, das mir je begegnet ist, wenn du es schaffst, mich sogar nach meinem Tode noch zu belästigen, oder du bist jemand, der weit mehr ist als ein Kind. Bist du das?“, fügte ich unsicher an.
Ich kann den Zustand wirklich nicht beschreiben, in dem ich mich in diesem Augenblick befand. Mein Literat hätte vermutlich die richtigen Fragen an mich gestellt, um meine Emotionen besser herauszukitzeln und aufzuschreiben. Aber sich selbst die richtigen Fragen zu stellen, ist wohl eine der schwierigsten Unternehmungen, die man sich aufbürden kann. Denn Fragen müssen von außen kommen, damit man sie spontan beantworten, und damit etwas von sich preisgeben kann. Wenn sie aus dem eigenen Bewusstsein, oder auch aus dem Unterbewusstsein stammen, dann sind auch die Antworten von eben dort gefärbt.
Wie ich zu einem früheren Zeitpunkt schon sagte, denke ich, dass das, was nun folgt, mir nicht geglaubt wird. Aber das kann mir gleich sein … und das muss es, denn es ist die Wahrheit! Und warum sollte ich auch lügen? Es gibt keinen Grund für mich, das zu tun, nachdem ich schon offenbarte, dass ich einen Mann gegen meinen Willen tötete, an dem mir etwas lag. Zuzugeben, dass ich selbst so schwach war, sodass ich dieses Verbrechen beging, ist wohl Wahrheit genug um zu beweisen, dass alles die reine Wahrheit ist, was ich hier berichte.
Kommen wir also zu dem Mädchen zurück.
Auf meine Frage, ob es weit mehr sei, schwieg es lange. Ich hatte es beinahe schon aufgegeben, auf eine Antwort zu warten, als es doch noch in meinen Gedanken sprach.
„ Ich bin der Tod. Ich bin das, was ihr so oft bildlich darstellt und doch nicht kennt. Ihr Menschen habt eine Vorstellungsgabe, die mich immer aufs neue fasziniert. Ihr seht den Tod gerne so, wie eure Körper werden, wenn das Leben aus ihnen
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