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Verräterherz (German Edition)

Verräterherz (German Edition)

Titel: Verräterherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Julian
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zurück.
    Die Zwischenwelt stellte sich als eine verdammt langweilige Durchgangsstation heraus, in der es nichts gab. Und wenn ich sage nichts, dann meine ich nichts!
    Man ist nicht einmal in der Lage, Däumchen zu drehen, weil man – da körperlos – über keine Daumen verfügt.
    Ebenso fällt ein Auf- und Abgehen weg, kein Fußwippen ist möglich, kein mit dem Kopf gegen die Wand hauen, weil kein Kopf da ist … und keine Wand. Zeit gibt es dort auch keine. Ein Grund mehr, warum ich danach stets so bedacht darauf war, nach der Uhr zu leben. Wenn einem die Zeit so gänzlich genommen wird, für wer weiß wie lange, dann hält man sich später daran fest, als wäre sie ein starker Ast, der einen aus dem Morast der Zeitlosigkeit zu ziehen vermag.
    Wie ich bereits erwähnte, war es mir so zum Glück verwehrt, meine Mutter noch ein letztes Mal zu sehen. Natürlich hätte ich gerne noch einmal ihr schönes Gesicht betrachtet, die gütigen Augen und das herzerwärmende Lächeln – ich bezweifle jedoch, dass im Anblick meines Todes ihre Augen gütig waren, ebenso wie ich nicht glauben kann, dass sie herzerwärmend lächelte. Von daher gebe ich mich mit den Erinnerungen an sie zufrieden, die mir geblieben sind.

    ~ღ~

    Ich kann mir denken, worüber du nachgrübelst. Warum, so fragst du dich vermutlich, habe ich sie nicht später wieder aufgesucht? Ich hätte es heimlich tun können, wenn ich meine Gestalt von Lucien schon unbedingt behalten wollte.
    Nun, die Antwort ist die …
    Ich möchte dir keine Antwort darauf geben. Warum sollte ich das?
    Aber verzeih, ich war unhöflich. Nun denn … die Antwort lautet, dass ich es nicht tat, weil ich den Schmerz fürchtete, den ihr Anblick in mir hervorrufen würde. Die Erfahrung des Schmerzes hatte ich gerade erst auf grausame Weise machen müssen, und ich war überzeugt davon, dass der Anblick meiner gebrochenen Mutter dem Schmerz einer zerfetzten Kehle in nichts nachstehen würde.
    Damals war ich überzeugt davon, und ich bin es auch heute noch - nach zweihundertfünfzig Jahren.

    ~ღ~

    Ich kehrte nie in die Straße zurück, in der das Haus stand, in dem ich all die Jahre zuvor gelebt hatte, und schließlich so bestialisch gemeuchelt worden war. Ich ging nach London, kehrte Paris den Rücken und fand denselben Dreck, dieselbe Armut und die gleichen Überlebenskämpfe in England, die ich in Frankreich hinter mir gelassen hatte. Doch das alles erlebte ich mit einem großen Unterschied zu früher – ich war unsterblich! Keine Krankheit konnte mir etwas anhaben. Die Ratten lauerten nicht auf mich, sondern ich lauerte auf sie. Das war eben jener Unterschied – zumindest in der Anfangszeit.
    Mein Literat hätte mich bei den vergangenen Zeilen vermutlich angemahnt. Ich war zu schnell, sprang von der Zwischenwelt nach London. Warum musste seine Nase auch ausgerechnet in meinem Beisein bluten? Ich vermisse ihn wirklich schmerzlich. Ich mäßige mich nun also nicht nur im Tempo meiner Erzählung, sondern gehe gerne wieder zu dem Moment zurück, als ich feststellte, dass das Nichts nicht einfach nur Nichts ist, sondern ein riesenhaftes Nichts, das durch nichts übertroffen werden kann.
    Verwirre ich dich?
    Nun, als das Mädchen zurückkehrte, hatte ich eine Entscheidung getroffen. Ich wollte nicht weiter in dieses Nichts abgleiten, sondern nahm das mir unterbreitete Angebot an. Ich stimmte zu, ein Vampir zu werden, worauf ich von ihr die Regeln erklärt bekam. So lernte ich, dass meine Erschaffung eher die Ausnahme in der Vampirgeschichte darstellte. Eigentlich war sie nur durch das Mädchen – also durch den Tod selbst - überhaupt erst möglich. Zwar besitzen Vampire ein Sekret, das sie ihrem Opfer injizieren, um das Blut schön flüssig und verdaulich zu halten, doch sorgt dies für einen längeren Übergang vom Leben in den Tod, bevor es im erstarrenden Körper schließlich unwirksam wird. In meinem Fall nutzte das Mädchen die Möglichkeit, mich in das zu verwandeln, was in meinen Adern übrig geblieben war, nachdem diese sadistische und mörderisch große Vampir-Mücke mich gebissen hatte. Das Sekret meines Mörders machte es möglich, dass ich mithilfe von Mademoiselle la mort zu einem seiner eigenen Art werden konnte. Ich war nicht der Erste und nicht der Letzte, dem diese Gnade zuteil wurde. Die Vampire selbst halten freilich nicht viel davon, dass der Tod in Mädchengestalt ihre Beute zu einem der ihren macht. Daher sind wir nicht wohlgelitten in Vampirkreisen. Wir sind

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