Verräterherz (German Edition)
wichtiger Punkt meiner Geschichte, wenn man begreifen will, dass ich eine der Ausnahmeerscheinungen in der Vampirwelt bin. Vielleicht ahnst du es schon anhand meiner Unsicherheit, die wohl das ein oder andere Mal durch meine Zeilen geschlüpft ist. Ich hasse diese Unsicherheit! Altehrwürdige Vampire haben sie nicht – oder sie wissen sie besser zu verbergen. Ich jedoch schlage mich mit ihr ebenso herum, wie damals als sterblicher Mensch. Es scheint eben doch Dinge zu geben, die sich niemals ändern. Aber das soll nun nicht Thema sein. Verzeih mir also meine Selbstzweifel und lies, was ich dir zu berichten habe.
~ღ~
Nachdem Morlet mich mit zerfetzter Kehle liegen gelassen hatte, blutete ich langsam aus. Ich spürte den Schmerz, und noch viel mehr die Müdigkeit, die mich überfiel. Doch sie gab mir keinen Frieden, da ich wusste, wenn ich ihr nachgab, würde ich nie wieder erwachen. Ich kann mich sogar erinnern, dass ich versuchte, mich zu erheben. Meinen gebrochenen Arm rührte ich dabei nicht, doch mit dem anderen versuchte ich, mich hochzuziehen. Vergeblich. Da wusste ich, dass ich in meiner langsam in der Matratze versickernden Blutlache sterben würde. Ich fragte mich, warum ausgerechnet ich? Ich stellte mir immer wieder die Frage, was diesen Kerl dazu bewogen hatte, mich auszusuchen. Heute weiß ich, dass ein Vampir nicht unbedingt aussucht. Vermutlich war er hungrig, als er an meinem Fenster vorbeiging und mein Duft zu ihm wehte. Ich hatte mich am Morgen beim Fischausnehmen mit dem Messer geschnitten. Die Wunde war schon verschlossen, aber ein Vampir kann dennoch das Blut verstärkt riechen, das dort eine Kruste bildet. Normalerweise können wir dem widerstehen, wenn wir nicht sehr hungrig sind. Doch wenn wir es sind, bedarf es nicht einmal einer frischen Wunde. Verletzungen passieren immer wieder. Ich selbst habe im Laufe meines Lebens mehrere davongetragen. Aufgeschürfte Knie, Nasenbluten, Schnittverletzungen. Und ein paar mal wurde ich zur Ader gelassen, als mein Fieber nicht sinken wollte.
Die Verlockungen sind groß und vielfältig für einen in der Nähe verweilenden Vampir. Ein solcher ist weit häufiger anwesend, als man wohl allgemeinhin glaubt. Doch davon hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht die geringste Ahnung. Ich wusste nur, dass jemand erbarmungslos über mich hergefallen war, und mir die Zeit davonlief.
Meine Uhr hatte er mir weggenommen. Er hatte sie kurz hochgehalten und betrachtet, bevor er sie eingesteckt hatte. Dass sie nicht der eigentliche Grund für den Mord an mir sein konnte, begriff ich erst später. Morlet, dessen Namen ich damals natürlich noch nicht kannte, war längst verschwunden – zumindest kam es mir wie eine lange Zeit vor, als ich plötzlich eine andere Gestalt in meinem Zimmer stehen sah.
Es war ein Kind. Ein Mädchen mit Sommersprossen und Zöpfen, in denen das rotblonde Haar ihm bis zur kindlichen Brust reichte. Das Mädchen sah mich interessiert an. In unserer Nachbarschaft wohnten schon seit Jahren keine Kinder mehr und ich wusste, dass die Enkelin des Ehepaares nebenan pechschwarzes Haar und eine auffallend dicke Nase hatte. Dieses Mädchen hier war mir unbekannt. Ich wollte etwas sagen … es vielleicht um Hilfe bitten. Es warnen. Ihm meine restlichen Habseligkeiten anbieten, weil ich sie nicht mehr brauchen würde – ich weiß es nicht mehr. Sprechen konnte ich jedoch nicht. Mein Kehlkopf war wohl nach der überaus unsanften Behandlung nicht mehr intakt. Die Zeit verrann. Mein Blut auch. Mein Leben schwand.
Das Mädchen kam näher, legte die Hand auf meine Wunde und wühlte darin herum - es tat nicht weh.
„ Da ist nichts mehr zu machen“, sagte das Kind schließlich. Ich musste ihm stumm zustimmen. Es zog die Hand wieder fort, sie war nicht rot, als könne mein Blut nicht daran haften. Eigentlich wünschte ich mir, dass meine Mutter bei mir wäre, wenn ich die Welt endgültig verließ, aber sie hatte meinen Vater begleitet, der im Auftrag eines Gutsherren für dessen Landhaus mehrere Möbelstücke anfertigen sollte. Ein Handwerk, das mir selbst leider so gar nicht lag, wie sich nach einer Vielzahl kläglicher Versuche herausgestellt hatte. Da ich endlich meine neue Anstellung hatte, grämte ich mich auch nicht mehr über mein Versagen, als mein Vater das Angebot erhielt. Es war ein überaus erfreulicher Auftrag, würde er doch Geld in unsere leere Kasse füllen. Ich hatte dafür gerne in Kauf genommen, einige Tage allein in unserer kleinen
Weitere Kostenlose Bücher