Verräterherz (German Edition)
Nahrungsaufnahme im kürzest vertretbaren Abstand gönnen. Und so hatte ich mein erstes Opfer gewählt, um ein Zweites besser erbeuten zu können.
Der junge Mann hoffte wohl, ich würde ihn einstellen, um Rinder zu hüten oder zu brandmarken.
„ Nein … keine Arbeit“, erwiderte ich bedauernd.
Er senkte resigniert den Kopf und sagte leise: „Weil Sie keine Mexikaner einstellen, Sir, ich verstehe.“
Ich war erstaunt über seine Schlussfolgerung, aber ich nickte vorsichtshalber vage, denn die Gepflogenheiten meines Körpergebers schienen tatsächlich darauf hinauszulaufen, dass er wohl keine Mexikaner beschäftigt hatte. Als wolle er meine Vermutung bestätigen, sagte der junge Mann: „Mein Name ist José Rodriguez. Sie können sich vermutlich nicht daran erinnern, aber ich habe vor etwa einem halben Jahr schon mal bei Ihnen vorgesprochen.“
Ich ahnte nichts Gutes und sein forschender Blick ließ mich beinahe zusammenzucken, denn vermutlich sollte ich mich trotz der sechs Monate, die vergangen waren, erinnern können. Nur, dass ich nicht der Mann war, mit dem er gesprochen hatte, sondern dieser irgendwo tot in der Zwischenwelt lag, bis ich ihm seinen Körper zurückgeben würde und das Mädchen entschied, in welche Abteilung er schließlich einzusortieren sei.
Ich weiß nicht mehr darüber, als dass es verschiedene Möglichkeiten diesbezüglich gibt. Es besteht also kein Grund für dich, auf mehr Information über deinen weiteren Weg nach dem Tode zu erfahren. Ich hoffe, du bist nicht allzu enttäuscht. Aber ich weiß auch, dass viele Menschen schlussendlich gar nicht würden wissen wollen, was nach ihrer Lebenszeit geschieht. Sie wollen es nicht wissen, nicht wirklich … nicht zu Lebzeiten, wenn ihnen der Tod noch so überaus viel Angst macht. Nun ja, hätte ich es zuvor gewusst, hätte ich mich vielleicht lieber beizeiten in eines der scharfen Fischmesser gestürzt, statt mit der Gewissheit zu leben, dass ich zu einem Vampir werden würde. Wenn ich denn schon so früh sterben musste, hätte ich wohl den endgültigen Tod einem Vampirdasein vorgezogen, als ich noch nicht die Gier nach Rache in mir trug. Aber das ist müßig …
Verzeih, ich verliere mich schon wieder in Grübeleien.
Rodriguez sah mich also forschend an und ich ahnte, dass er mit dem Mann, der ich nun optisch für ihn war, ein Hühnchen zu rupfen hatte – zumindest glaubte ich das in dem Moment, denn der Blick meines Gegenübers war nicht nur forschend, sondern auch überaus fordernd.
Ich zuckte knapp mit den Schultern, um zu verdeutlichen, dass ich mich nicht an ihn erinnern konnte.
Er schnaubte leise und führte dann aus: „Sie sagten, der Tag, an dem Sie bereit wären, einen dreckigen Mexikaner wie mich einzustellen, wäre zugleich der Tag, an dem Sie mit diesem faulen, stinkenden Pack von Drecks-Mexikanern gemeinsam trinken würden. Und sie machten deutlich, dass dieser Tag niemals käme. Eher würde der Teufel sich mit einem Kaktus mitten auf dem Marktplatz selbst anal befriedigen, sagten Sie, und überließen mich dann Ihrer Schlägerbande, Señor Caviness.“
Caviness schien ja wirklich ein „netter“ Kerl gewesen zu sein, schoss es mir durch den Kopf.
Nun schmeckt das Blut eines Widerlings nicht schlechter als das eines sympathischen Menschen, von daher war mir nicht aufgefallen, dass Caviness zum einen ein Mexikaner-Hasser war, obwohl er in deren Land lebte, noch hatte ich beim Nähren bemerkt, dass er einen Hang zu frivolen und äußerst abenteuerlichen Versionen der analen Befriedigung - noch dazu der des Teufels gehabt hatte.
Ich hob aufgrund dieser neuen Erkenntnis eine Augenbraue, was Rodriguez dazu veranlasste, mich überrascht anzusehen. Irgendwie kam es mir frevelhaft vor, in einem Körper zu stecken, der den Teufel verhöhnt hatte. Solche überaus selbstgefälligen Menschen neigen dazu, nicht nur ihre Mitmenschen zu verhöhnen, sondern auch alles, was einer höheren Macht gleichkommt. Vermutlich hatte er also dasselbe mit dem Tod getan … und ich kannte diesen nur in der Gestalt des Mädchens, was einen Beschützerinstinkt in mir hervorgerufen hatte.
Ich weiß, wie dumm das ist! Es geht ja auch nicht darum, dass ich den Tod tatsächlich verteidigen oder gar beschützen müsste. Es geht nur um ein Gefühl … ein … ja gut … ein verrücktes Gefühl, das jeder Logik entbehrt.
Aber lassen wir das …
Ich lauschte mit Entsetzen den Worten des jungen Mexikaners, der alles andere als dreckig oder stinkend war
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