Verräterherz (German Edition)
Morde im Sommer 1888 begannen und das Ganze viel Wirbel nach sich zog, wurde es für mich Zeit, London wieder zu verlassen.
Ich weiß, dass der wahre Mörder nie gefunden wurde, und vermutlich lenke ich gerade den Verdacht auf mich selbst, da ich zu diesem Zeitpunkt an Ort und Stelle war und ich dir nicht beweisen kann, dass ich noch vor dem letzten Mord nicht mehr in London weilte. Doch was hätte ich davon, in diesem Fall zu lügen? Der Ripper kam – ich ging. Mehr haben wir nicht miteinander zu tun. Und fest steht, dass er viel zu wenig Interesse an Blut, als vielmehr an Aufmerksamkeit und dem Ausschlachten von toten Körpern hatte, als es einem Vampir je angedichtet werden könnte. Wir verachten innere Organe – wie das Herz … erst recht würde sich keiner von uns an der Gebärmutter oder der Niere eines dieser bedauernswerten Opfer zu schaffen machen.
Wir trinken Blut, aber wir essen keine menschlichen Innereien oder versenden sie gar mit der Post!
Eure Welt – die Menschenwelt – die einst auch die meine war, hat soviel Horror zu bieten, dass ich denke, die Vampire sind nicht das größte Übel, das ihr zu erdulden habt, sondern ihr selbst seid es!
Nachdem ich dem regen Leben in der Stadt zwangsläufig den Rücken gekehrt hatte, schlug ich mich einige Wochen im schottischen Hochland durch. Ich kann es nicht anders sagen, denn die Landschaft mag wohl reizvoll sein, doch ist Schafsblut nicht unbedingt nach meinem Geschmack. Immerhin fand ich dort ein wenig zu mir selbst. Und während ich mir die Wolle ein ums andere Mal aus den Eckzähnen pulte, fasste ich einen Entschluss. Ich wollte mich nicht länger an Orten verstecken, die mich zwar schützten, aber zugleich auch lähmten.
Es war ein schwerer Schritt, den Mut aufzubringen, die Welt zu bereisen und damit in Kauf zu nehmen, dass ich eher als Vampir entlarvt werden könnte, als im Schutze von vier Wänden. Doch der Entschluss, mich auf lange Schiffsreisen zu begeben, war eine ganz andere Geschichte, die dafür sorgte, dass ich mich frei und glücklich fühlte. Wind und Salz auf der Haut, einem neuen Kontinent entgegensteuernd – doch zugleich war ich reichlich eingeengt in der Nahrungssuche. Es empfiehlt sich nämlich nicht, die Besatzung eines Segelschiffs leer zu trinken, wenn man selbst nicht die geringste Ahnung vom Navigieren und Segelsetzen hat. Bei meinen Reisen auf Dampfschiffen erging es mir freilich nicht viel anders. Auch wenn ich im Laufe der Zeit, wie ich gestehen muss, neben den Schiffsratten und einigen anderen mitreisenden Tieren, auf insgesamt wohl etwa ein Dutzend Passagiere zurückgriff, die alleine reisten und deren Leichen ich kurzerhand über Bord warf. Das ist nicht viel, auf all die Zeit gesehen, wie du wohl zugeben musst.
Von der Besatzung ließ ich jedoch wohlweislich stets die Finger. Wenn man reist, sollte man sich auf diejenigen verlassen können, die die Fertigkeit erlernt haben, mit einem solchen Gefährt umzugehen. Und auch wenn ich zweifelsohne wohl kaum ertrunken wäre, war ich alles andere als begierig darauf, eine über die Maßen lange Zeit mit Schwimmen zu verbringen.
Also wusste ich, worauf ich mich einließ, als ich mich entschloss, ein Reisender zu werden. Es kostete mich Mühe und sehr viel Selbstdisziplin, diese Zeiten an Bord der Schiffe durchzuhalten. Und doch kann ich mit Stolz behaupten, dass es mir die meiste Zeit über gelang. Sobald wir in einem Hafen anlegten, schlich ich durch die abgelegenen Gassen und stillte meine Gier, und noch bevor meine Opfer gefunden wurden, hatte unser Schiff längst den Anker gelichtet und die Segel blähten sich im Wind, der uns vom Ort des Geschehens so schnell fortbrachte, als stünde er mit mir in einer geheimen Verbrüderung.
Das Stillen meines Hungers in den Häfen hatte übrigens einen interessanten Nebeneffekt, denn das Blut meiner Opfer war meist so stark mit Alkohol versetzt, dass ich selbst ganz beschwingt und optimistisch meiner ganz persönlichen Zukunft entgegensah.
Ich bereiste auf diese Art die verschiedenen Kontinente, lernte Kulturen kennen, die damals noch völlig neu und seltsam anmuteten, übte mich in verschiedenen Sprachen und nutzte dafür manches Mal den Vorteil, dass es mir möglich war, mich in den Körper eines Einheimischen zu versetzen, nachdem ich mich zuvor von ihm genährt hatte. Die Zunge wird leichter auf diese Art … und ehrlichgesagt war es so manchmal auch einfacher, das Vertrauen des nächsten Opfers zu erlangen, denn euch
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