Verräterherz (German Edition)
Erzählung zu verstricken.
Ich habe es nie gelernt, das kunstvolle Schreiben. Und ich gestehe, dass ich zuerst einen Literaten bat, meine Geschichte in Worte zu fassen. Das Einzige, was ich zu tun hatte, war, ihm alles zu erzählen, während er seine Finger geschäftig über eine Tastatur führte, die meine Worte direkt auf einem Bildschirm erscheinen ließ. Kurzum, er verwendete einen Laptop. Ein Schreibgerät übrigens, von dem ich zu Zeiten meines sterblichen Lebens nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Für Teufelszeug hätte man es gehalten. Der Mann jedoch betrachtete es als ganz gewöhnliches Hilfsmittel. Wir arbeiteten gut zusammen. Drei Abende hintereinander. Dann bekam er Nasenbluten und ich verlor meinen Literaten. Ich schaffte es sogar noch, ihm ein Taschentuch zu reichen, bevor meine Instinkte mich übermannten.
Seitdem glaube ich jedoch, dass es besser ist, wenn ich den Kontakt mit Menschen wieder auf ein Minimum reduziere. Ich schreibe nun an seinem Laptop, und für mich ist es nicht wirklich Teufelszeug, denn auch wenn zu meinen Lebzeiten so etwas undenkbar war, so habe ich – wie bereits erwähnt - doch die technische Entwicklung als Vampir mitverfolgen können und sie auch stets genutzt, wenn es mir möglich war und einen Vorteil verschaffte.
Aber kommen wir vom Laptop wieder zu dem Gegenstand, durch den ich zu Nicolas Morlet fand. Die Taschenuhr.
Nun, in der Tat brauchte ich sie nach den unschönen Ereignissen, die sich in meinem Schlafzimmer abgespielt hatten, nicht mehr. Und doch fehlte sie mir, denn selbst als Vampir neige ich dazu, mich an der Zeit zu orientieren. Ich werde sonst so gleichgültig, verliere die Kontrolle, töte zu oft und trinke zu viel Blut. Danach ist mir schlecht und zugleich verlangt zu viel Blut geradezu nach noch mehr davon. Das sind keine Mahlzeiten mehr, sondern Völlerei, die ohne Zeitgefühl einen regelrechten Blutrausch nach sich ziehen kann. Ein guter Grund also, ein wenig nach der Uhr zu leben und sich die Mahlzeiten gewissenhaft einzuteilen, damit es gar nicht erst soweit kommt. Es geht hier um Menschenleben, also denke ich, dass du mir in diesem Punkt zustimmen wirst.
Doch bevor du nun glaubst, ich hätte vielleicht wirklich über zweihundertfünfzig Jahre lang im Blutrausch gelebt, lass mich vorweg sagen, dass ich mir eine andere Uhr stahl, sobald ich begriff, dass sie mir von Nutzen war. Überhaupt bin ich recht praktisch verlangt und bediene mich der Dinge, die mir zur Verfügung stehen. Dazu zählen auch meine vampirischen Eigenschaften, die jedoch in der Fantasie der Menschen geradezu lächerliche Formen annehmen.
Tatsache ist jedoch, dass ich als Körperloser ein gewisses Maß an Auswahlmöglichkeiten habe, was mein Erscheinungsbild angeht. Und nein, eine Fledermaus gehört nicht dazu – der männliche menschliche Körper ist eine fixe Vorgabe, der auch ich unterliege.
Es dauerte etwas, bis ich in der Lage war, die Körper meiner Opfer ohne Probleme zu übernehmen. Meist bin ich jedoch ohnehin Lucien Chevrier in einer nicht alternden Ausgabe, da mir dieser Körper am meisten vertraut ist und ich ein klein wenig nostalgisch veranlagt bin. Doch ist es mir inzwischen ohne weiteres möglich, auch andere Gestalten anzunehmen, wenn ich mich nur genügend konzentriere, und wenn ich ausreichend gesättigt bin. Genaugenommen lässt meine Konzentration rasch nach, sobald der Hunger einsetzt, daher ist das Blut mir nicht nur Nahrung, sondern sorgt auch dafür, dass ich nicht in einen körperlosen Zustand gerate, der mich erneut in die Zwischenwelt zwingt.
Das ist übrigens nicht bei allen Vampiren so. Je älter der Stammbaum, desto mehr Kontrolle haben Vampire über ihren Körper. Und desto weniger Blut benötigen sie, um gesättigt zu sein. Es ist mir ein wenig peinlich, das zuzugeben, aber ich bin, „dank“ meiner relativ neuen Zugehörigkeit zu dieser Rasse, einer der jungen Wilden, die sich selbst regelrecht Gewalt antun müssen, um nicht mordend jede Nacht durch die Städte zu ziehen.
Wie ich bereits offenbarte, ist die Uhr in diesem Punkt meine Verbündete und vermag es, mich in die nötigen Schranken zu weisen, indem sie mir sagt, wie lange ich Enthaltsamkeit üben muss, bis ich meinen Hunger kontrolliert stillen darf.
Doch dass ich keiner alten Vampir-Linie angehöre, hat leider noch ganz andere Auswirkungen. Für mich tödliche, um genau zu sein, denn ich bin zu dem geworden, was man in unseren Kreisen ein Verräterherz nennt. Wie es dazu kam,
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