Verräterherz (German Edition)
nicht, denn er war selbst ein begeisterter Kaffeetrinker. Drei Abende hintereinander konnte ich beobachten, wie er während des Tippens Unmengen der schwarzen Brühe genussvoll trank. Er fürchtete nicht die anregende Wirkung des Gebräus, und er fürchtete mich nicht – was zweifellos ein Fehler war. Er konnte nicht ahnen, dass ich wirklich ein Vampir war, als er seinen Kaffee in meiner Küche zu sich nahm. Leider weiß ich nicht viel über ihn, da ich es fast ausnahmslos war, der redete, um ihm den Text zu diktieren, den ich auf diese Art später einem Leser mitteilen wollte. Doch immerhin wusste ich von seiner Kaffeeleidenschaft. Ich habe ihn daher mit ein paar Packungen seiner Lieblingssorte auf einem alten Friedhof begraben und meine Kräfte genutzt, um das frisch zugeschüttete Grab ungewöhnlich schnell altern zu lassen. Dies ermöglichte mir, die Spuren zu verwischen, aber natürlich vermisst man ihn.
Man sucht meinen Literaten noch heute, wie ich aus den Zeitungen weiß. Manchmal stelle ich mir vor, wie er die nun knöchernen Beine übereinander schlägt, mit ebenso knöchernen Fingern eine Tasse Kaffee an seinen lippenlosen Mund hebt und die dunkle Brühe ihm über das Gerippe läuft, nachdem er es in seinen fleischlosen Kiefer gekippt hat.
Zugegeben, eine makabere Vorstellung, aber vielleicht würde er es – wenn die Umstände schon so liegen, dass er sterben musste – selbst ein wenig als tröstlich empfinden, sich so zu sehen. Denn sicher wäre es einem Kaffeesüchtigen wie ihm ein grausamer Gedanke, all die Pakete mit frisch gemahlenem Kaffeepulver ungenutzt vergammeln zu sehen.
Aber kehren wir zu dem Moment zurück, als ich die Tür des Antiquitätenladens hinter mir schloss. Die Glocke war gerade verstummt, und meine Aufmerksamkeit auf ein Jagdgewehr gerichtet, das aus der Zeit um 1740 stammen musste. Es war verziert mit Ornamenten im Rokokostil und zeugte von einer Vergangenheit, die zwar die meine war, die ich jedoch beinahe vergessen hatte. Überhaupt war der Laden vollgepackt mit Gegenständen, die mich dunkel an meine Kindheit und Jugend erinnerten. Jeder, der mich ansieht, geht davon aus, dass meine Jugend gerade erst hinter mir liegt, doch in Wahrheit habe ich sogar das Greisenalter längst überwunden und blicke mit beträchtlichem Abstand an Jahren und Erfahrungen darauf zurück.
Nun, ich beschwere mich nicht, dass ich jung aussehe und ab und zu wurde mir sogar ein Maß an Attraktivität bescheinigt, das ausreichen sollte, um ein wenig Selbstzufriedenheit an den Tag zu legen. Tatsache ist jedoch, dass es Momente gibt, in denen ich mein wahres Alter glaube körperlich spüren zu können. Dies geschieht insbesondere dann – und das wird dich vermutlich nun nicht überraschen – wenn ich nicht ausreichend Nahrung zu mir genommen habe. Letztendlich dreht sich also immer alles nur um das eine … Blut.
Schritte erklangen, als der Inhaber des Antiquitätenladens aus seinem angrenzenden Büro in den Verkaufsraum trat.
Er erkannte mich nicht, aber ich erkannte ihn sofort. Keinen Moment lang hatte ich in den ganzen Jahren das Gesicht vergessen, das sich im Kampf gegen mich geifernd verzogen hatte.
Auch er sah noch genauso aus wie damals im Jahre 1760, als er versucht hatte, mich vom Leben zum Tode zu befördern. Ein Mann, der ungefähr dreimal so alt war wie ich, als er mich tötete. Aus dem Leben hatte er mich gerissen, aber der Tod hatte mich wieder ausgespuckt. Und so stand ich hier - genau wie er.
Es war skurril, aber nur halb so sehr, wie das, was dann folgte. Er besaß nämlich die absolute Unverfrorenheit, mich zu fragen, ob er mir helfen könne! Er hatte mich nicht als seinesgleichen erkannt, und erst recht nicht als sein Opfer, dem er die Kehle absichtlich zerfetzt hatte. Das war nicht weiter verwunderlich, aber ich entschied mich, aus einer Laune heraus, ein Spiel mit ihm zu spielen. Es sollte ungefähr so lange dauern, wie mein Todeskampf, also nicht allzu lange, und doch wie eine gefühlte Ewigkeit. Eine interessante Metapher übrigens für einen Untoten.
Ich sah mir einen alten Lampenschirm an, der aus Tierhaut bestand und ein verblasstes Muster zeigte, während ich unschlüssig murmelte: „Ich suche ein Geschenk für einen Freund. Ich habe ihn lange nicht gesehen, und ich denke, er verdient etwas ganz Besonderes. Etwas, das überdauert und das ihn überrascht. Verstehen Sie?“
Der Mann dachte kurz nach, dann wies er auf einige Gemälde und fragte: „Interessiert er sich
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