Verräterherz (German Edition)
er in meinen Taschen gewühlt, wie ich es zweieinhalb Jahrhunderte später ebenfalls bei meinem Opfer getan hatte. Das alles war so schrecklich vorherbestimmt – wenn ich denn Furcht vor dem Schicksal hätte, wie ich bereits sagte.
Aber es gibt noch mehr von Nicolas Morlet zu berichten, denn ich sprach mit ihm, bevor ich Rache übte. Und dieses Gespräch zeigt dir vielleicht auch, warum ich so handeln musste, wie ich es tat.
Ich bitte dich inständig zu unterscheiden, warum der eine, und warum der andere Mann sterben musste. Es würde zu weit gehen, wenn ich behaupten würde, ich hätte den Tätowierten geliebt – wenn man einmal von der Verschmelzung unserer Körper absieht, was natürlich eine Form der körperlichen Liebe darstellt. Aber Tatsache ist, dass ich ihn kaum kannte. Ich spreche nun von Gefühlen, die irgendwo in der Seele wohnen, im Herzen, im Kopf, im Bauch … wo auch immer, und dort empfand ich nicht mehr für ihn, als eine erotische Neugierde, die wir gemeinsam stillten. Aber eines versichere ich dir – ich habe ihn nicht absichtlich getötet!
Nicolas Morlet hingegen schon.
Doch ich habe schon viel zu viel vorweg genommen. Eine Schwäche von mir, da ich eilig berichten möchte, ohne die Kunst des schriftlichen Erzählens tatsächlich zu beherrschen. Aber ich gebe diesbezüglich mein Bestes, wie ich dir versichern möchte.
Ich betrat also Morlets Laden gegen zehn Uhr vormittags. Es war ein sonniger Morgen, dem ich tatsächlich etwas abgewinnen konnte, obwohl es mich immer noch traf, dass meine Mahlzeit einen scheinbar so netten Menschen - der mich mit seinem Lachen hatte verzaubern können - das Leben gekostet hatte. Ja, ich gebe zu, dass mir das nahe ging, obwohl eine Stimme in mir mich ständig daran erinnerte, dass es nicht meine Schuld war, dass ich zu dem geworden war, was ich nun einmal bin. Die Schuld dafür – und für alles was ich in diesem Dasein verbreche - liegt bei meinem Mörder. Zumindest ist dies eine Beruhigung, auch wenn es sich in Menschenohren vermutlich eher wie eine feige Ausflucht anhören muss.
~ღ~
Als ich die Tür zum Laden öffnete, erklang eine kleine Glocke, die dort befestigt war. Erwähnte ich schon, dass ich ein wenig nostalgisch veranlagt bin? Nun, es freute mich zumindest, keinen akustischen Gong ertönen zu hören. Es ist so viel unpersönlicher, von einem technischen Gerät angekündigt zu werden, statt von einer kleinen metallenen Glocke, die man selbst in schwingende Bewegung versetzt hat. In letzterem Fall sind nämlich noch Kräfte am Werk, die man eigenhändig unter Kontrolle hat. Öffne ich eine Tür, die mit einer Glocke versehen ist, mit viel Schwung und Kraft, so kündet sie durch heftiges Klingen von meinem Elan, mit dem ich ein Geschäft betrete. Öffne ich jedoch langsam und zaghaft, so klingt sie nur leise und scheu, was den Inhaber zu der Frage veranlassen könnte, ob es mir auch gut ginge. Ein automatischer Gong klingt immer gleich, ohne dass ich Einfluss auf ihn hätte. Ihn interessiert mein Befinden nicht im Geringsten und er entzieht sich meiner Kontrolle.
Ja, ich gebe zu, dass es die Kontrolle ist, die mir eine Glocke sympathisch macht. Und hier hatte mich eine solche empfangen. Hinzu kam das freundliche Wetter an diesem Tag im Mai. Insofern müsste man annehmen, dass ich den Antiquitätenladen entsprechend versöhnt betrat. Dem war aber nicht so.
Kaum, dass ich im Laden stand, überfiel mich eine Vorahnung. Ich wollte eigentlich nur herausfinden, wo der Inhaber meine Uhr erworben hatte, und ich war bereit, eine lange Spur zurückzuverfolgen.
Der Geruch, der neben dem Staub, altem Leder und Holzwachs zu mir aus dem Büro drang, ließ meine enthusiastischen Pläne und meinen Tatendrang sofort verebben und wandelte sich zu einem Hassgefühl, wie ich es mir selbst bislang nur selten gestattet hatte. Aber es war noch etwas anderes als Hass vorhanden. Vielleicht ist es am besten mit tiefer Befriedigung vergleichbar, die sich unmittelbar körperlich auf einen auswirkt.
Oder – um noch beispielhafter zu werden - kann man es wohl mit dem gleichsetzen, was ein echter Kaffeetrinker empfindet, wenn er nach wochenlangem und gezwungenem Instant Kaffee Konsum, den Duft eines frisch aufgebrühten Bohnenkaffees riecht, und was er beim Geruch dieses Elixiers seines Begehrens empfindet. Ich weiß, dass viele Menschen Kaffee lieben, daher wähle ich den Vergleich. Meinem Literaten wäre vermutlich ein besserer eingefallen. Aber vielleicht auch
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