Verräterische Gefühle
es leise und kraftlos. „Gutes Mädchen“, raunte ihr Retter zärtlich und wiegte den kleinen schlaffen Körper an seiner Brust. „Du hast es geschafft.“
„ Du hast es geschafft, Nathaniel!“, rief Katie weinend vor Erleichterung aus. Als er zu ihr aufsah, war seine Haut unter der Sonnenbräune aschfahl und die Augen wie tot. „Du hast ihr das Leben gerettet. Ich …“
Katie wollte noch mehr sagen, doch das Kind fing an zu rufen. „Ich will zu meiner Mami.“
„Sofort, mein Engel.“ Behutsam streichelte Nathaniel der Kleinen über den Rücken. Aber auf seinem Gesicht stand ein finsterer, angespannter Ausdruck, den Katie nicht verstand. Sollte er nicht erleichtert, froh und stolz über seine Heldentat sein?
Nathaniel erhob sich und sah zwei Erwachsenen entgegen, die von Bord des anderen Schiffes gesprungen und zu ihnen geschwommen waren.
„Nina? Sie lebt?“, rief die Frau Nathaniel aus dem Wasser zu.
Er nickte knapp, übergab Ben das Kind und war unter Deck verschwunden, noch bevor die Angehörigen der Kleinen an Bord kommen konnten. Sie dankten Ben überschwänglich für die Rettung ihres kleinen Lieblings. Er nahm ihren Dank gelassen entgegen und riet ihnen eindringlich, das Mädchen von einem Arzt untersuchen zu lassen und ihm in Zukunft immer eine Schwimmweste anzuziehen.
Die erleichterten Eltern gelobten beides und kehrten mit dem Beiboot, das einer der Gäste inzwischen flottgemacht hatte, auf ihren Segler zurück. Nach der Identität des wahren Retters zu fragen, war ihnen in all der Aufregung gar nicht in den Sinn gekommen.
Nachdem alles vorbei war, gaben Katies Knie plötzlich unter ihr nach. Rasch setzte sie sich und zog mit bebenden Fingern ein flauschiges Badetuch um sich. Doch ihr Zittern und das Zähneklappern wollten einfach nicht aufhören.
Wo blieb Nathaniel? Wie musste er sich bloß fühlen, wenn sie schon so heftig auf dieses unfreiwillige Abenteuer reagierte?
Kraftlos lehnte Nathaniel über der Toilettenschüssel und erbrach sich zum vierten Mal. Er war nicht unter Deck geflüchtet, um seine Anonymität zu wahren, sondern aus purer Angst, vor aller Augen zusammenzubrechen.
Wasser! Ein ertrinkendes Kind … überwältigende, nicht zu steuernde Panik!
Langsam hob er den Kopf und schaute in den Spiegel. Würde das denn nie vorbeigehen? Das bleiche Gesicht schien einem Toten zu gehören.
Alpha Man! Von wegen!
Das Ausmaß seiner Schwäche und Hilflosigkeit entrang ihm ein bitteres Lachen. Unter seinen Füßen schien der Boden zu schwanken, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sich der Katamaran bewegte.
Ben, dachte er dankbar. Gott sei Dank gab es Ben.
Er würde ihn so schnell wie möglich aus dieser Wasserhölle wegbringen …
6. KAPITEL
Katie lag in der Hängematte, ein Buch ungeöffnet in der Hand, blind und taub für die Schönheiten der Natur und das leise Rauschen des Meeres im Hintergrund.
Kaum hatte der Katamaran Strandnähe erreicht, war Nathaniel ins Wasser gesprungen, an Land gewatet und ins Haus marschiert, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Vielleicht war es nur eine Reaktion auf das Erlebte, oder er wollte allein sein. Aufdrängen würde sie sich ihm ganz sicher nicht. Außerdem hatten sie keine echte Beziehung zueinander wie zum Beispiel Familienangehörige, Freunde oder gar Geliebte!
Geliebte! Bei der Vorstellung und der Erinnerung an die erste Nacht oder den gestrigen Abend am Strand schauderte Katie.
Verstimmt über sich selbst und ihre unbezähmbare Fantasie, schwang sie die Beine aus der Hängematte und schlenderte zur Terrasse hinüber, wo Nathaniel in einem bequemen Schwingsessel saß. Wie in Trance starrte er hinaus auf die See, wo langsam die Sonne am Horizont verschwand.
„Du hast gar nichts zum Dinner gegessen“, bemerkte sie vorsichtig. „Soll ich Ben bitten, dass er dir etwas bringt?“
„Nein, ich bin nicht hungrig und möchte allein sein.“ Beide Aussagen waren genau wie sein Ton dazu gedacht, sie abzuschrecken, doch Katie ließ sich nicht einschüchtern. „Was du heute getan hast, war ungeheuer mutig. Ich bin immer noch ganz aufgewühlt von dem schrecklichen Erlebnis. Wie musst du dich dann erst fühlen?“
Keine Reaktion. „Verkriech dich nicht wieder in deinem Schneckenhaus, Nathaniel!“, forderte Katie impulsiv. „Rede mit mir!“ Ihre Stimme schwankte und klang ganz rau.
Das Schweigen war lang und qualvoll. Doch als Katie sich schon resigniert zurückziehen wollte, brach Nathaniel sein Schweigen.
„Reden kann nichts an
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