Verräterische Gefühle
der Tatsache ändern, dass die Kleine fast ertrunken wäre“, sagte er schwer.
„Aber dank deines mutigen Eingreifens ist sie es nicht“, erinnerte Katie ihn. „Ein Segen, dass du so ein fantastischer Schwimmer bist und das Wasser liebst!“
„Ich schwimme so gut, weil ich das Wasser hasse“, kam es dumpf zurück.
Bevor ein dunkler Ausdruck seine Miene verschloss, der seine Emotionen auszulöschen schien, erkannte sie namenlose Qual und einen Schmerz in seinen Augen, der ihr ans Herz griff. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den echten Nathaniel Wolfe gesehen, nicht den Schauspieler.
Instinktiv streckte sie die Hand aus, um sie mitfühlend auf seinen Arm zu legen. Da sich inzwischen aber der gewohnte Sarkasmus auf seinem Gesicht widerspiegelte, zog sie sie wieder zurück. Trotzdem war Katie entschlossen, Nathaniels seltsamem Verhalten endlich auf den Grund zu gehen.
„Willst du mir nicht erzählen, warum das so ist?“, fragte sie gelassen.
Ihre Blicke trafen sich, dann lachte er hart. „Bist du sicher, dass du es wirklich hören willst?“
„Ja. Sag mir, warum du das Wasser hasst.“ Diesmal umfasste sie mutig seine verkrampften Finger auf der Sessellehne, und Nathaniel zog seine Hand nicht zurück.
„Es gab da einen See …“, begann er mit einer Stimme, die so kalt war wie gefrorenes Glas, „auf dem Anwesen unserer Familie … Wolfe Manor . Wir führten ein privilegiertes Leben, wie mir jedermann versicherte. Das Herrenhaus war ein luxuriöser, seelenloser Kasten, in dem man sich leicht verlaufen oder so perfekt verstecken konnte, dass einen niemand fand. Ein nützlicher Umstand, da dieses Vorgehen früh zu meinem Überlebensprinzip wurde.“
„Vor wem musstest du dich verstecken, Nathaniel?“
Er starrte an ihr vorbei, als hätte er sie gar nicht gehört. „Der See war riesig, und egal, wie blau der Himmel auch sein mochte, nie spiegelte er sich in der schwarzen Wasserwüste wider. Ganz dicht unter der Oberfläche konnte man Seegras und Schlingpflanzen sehen, die sich wie gierige Tentakel eines Seeungeheuers bewegten, auf der Suche nach einem Unglücklichen, den sie umfangen und in die Tiefe ziehen konnten. Wie tief der See wirklich sein mochte, wussten wir nicht. Dafür wussten wir aber, dass einer unserer Vorfahren darin ertrunken war. Und von dem Ungeheuer, das in seiner Mitte hausen sollte, hatten wir auch eine bildhafte Vorstellung.“
Katie schauderte. „Das hört sich ja gruselig an!“
„Das war es auch …“ Wieder verfiel Nathaniel in dumpfes Schweigen, das Katie nicht zu brechen wagte. Nach einer Weile sprang er auf und wanderte unruhig auf der Terrasse herum.
„Was ist passiert?“, flüsterte Katie, als sie es einfach nicht länger aushielt.
Abrupt blieb er stehen und musterte sie eindringlich aus brennenden Augen. Dann trat er an das Terrassengeländer und legte seine Hände um die hölzerne Brüstung. Und zwar so fest, dass seine Knöchel weiß unter der bronzefarbenen Haut hervortraten.
„Es war spät am Abend. Ich hatte mal wieder etwas Verbotenes getan, wie gewöhnlich. Mein Vater packte mich im Nacken, schleifte mich zum See und stieß mich hinein.“
Seine Stimme klang plötzlich rau und brüchig. „Ich erinnere mich nicht mehr, ob es der Ausdruck auf seinem Gesicht war, oder was er zu mir sagte, aber vor Schock war ich wie gelähmt. Als ich ins Wasser eintauchte, dachte ich nur: ‚Das war’s, ich werde ertrinken.‘ Ich fragte mich noch, wie lange es wohl dauern mochte und ob es wehtun würde. Als ich schließlich doch noch anfing zu strampeln, um mich von den Schlingpflanzen zu befreien, sah ich nur noch den Rücken meines Vaters, während er wegging. Ich dachte: ‚Gleich dreht er sich um und kommt zurück!‘ Doch er tat es nicht.“
„Aber das ist doch unmöglich!“, keuchte Katie. „Er wollte dir vielleicht spielerisch eine Lektion erteilen.“
„Das habe ich auch versucht, mir einzureden, aber es war kein Spiel. Anfangs habe ich die Schuld für alles bei mir selbst gesucht. Wie wohl jeder kleine Junge kämpfte ich um die Zuneigung und Anerkennung meines Vaters. Ich dachte, wenn ich das Richtige tue, würde er mich vielleicht lieben, aber es wollte mir nie gelingen. Dabei hatte ich an jenem Tag nur verträumt herumgestanden, während ich im Garten Blätter harken sollte …“
Katies Erschütterung war nicht zu übersehen. Mit einem schwachen Lächeln strich Nathaniel ihr über die Wange. „Arme Katie, habe ich jetzt deinen
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