Verräterische Lippen
Geräusch einer zuklappenden Tür ließ mich hochschrecken. Ich riß die
Augen auf und merkte, daß ich eingedöst war.
»Guten
Morgen, Señor Roberts«, sagte der alte Mann. Er grinste freudlos. »Nur ein sehr
tapferer Mann riskiert, bei einer solchen Gelegenheit einzuschlafen. Ich
bewundere Ihre Kaltblütigkeit und Ihren Mut .«
Ich
unterließ es, ihn auf den Unterschied zwischen tapferen Männern und Idioten
hinzuweisen. Mein Verstand war zu sehr in Anspruch genommen, die Tatsache zu
registrieren, daß der Alte keine Waffe trug und anscheinend auch nicht
vorhatte, mir mit dem Besen, auf den er sich stützte, über den Schädel zu
schlagen.
Sein
Grinsen war weniger aufheiternd. Die beiden Zähne, die aus seinem Oberkiefer
ragten, waren braun verfärbt, der Rest des Mundes wirkte wie ein klaffender
Schlund. Sein faltiges Gesicht zierte ein schütterer Backenbart. Er trug einen
schäbigen grauen Arbeitskittel über dunkler Hose und einem fleckigen braunen
Hemd, das er offenbar seit Jahren nicht mehr gewechselt hatte.
»Wie
ich sehe, sind Sie allein«, kicherte er. »Das ist gut .«
Ich
hielt es für angebracht, ohne weitere Umschweife zum Thema zu kommen: »Was
wollen Sie für die Freilassung von Señorita Mendez ?«
Er
riß den Mund auf und begann wie irre zu gackern. Anscheinend hatte ich
unfreiwillig einen Witz gemacht.
»Nicht
mit mir müssen Sie reden«, sagte er schließlich. »Ich bin hier nur der Hauswart .«
»Der
Hauswart?« Ich beugte mich vor und stützte die Arme auf den Schreibtisch. »Aber
ich dachte... Moment mal. Sie wußten doch meinen Namen !«
»Señor
Roberts? Natürlich wußte ich Ihren Namen. Wie hätte ich denn meine Nachricht
ausrichten sollen, wenn man mir nicht gesagt hätte, für wen sie bestimmt ist ?«
Er
fuhr ein paarmal flüchtig mit dem Besen über den Fußboden und bewegte sich
dabei näher an den Schreibtisch.
»Wie
wäre es, wenn Sie mich die Nachricht endlich wissen ließen ?« krächzte ich.
»Sie
sollen sie in vier Stunden treffen. Allein. An dem Ort, der hier auf der Karte
eingezeichnet ist.« Er langte in die zerschlissene Tasche seines Kittels und
brachte ein zusammengefaltetes Stück Papier zum Vorschein, das er auf die
Schreibtischplatte warf.
»Sie ?« fragte ich begriffstutzig .
»Meinen Sie...«
»Señorita
Mendez natürlich.« Er fuhr sich mit seiner schmutzigen Hand über die Lippen.
»Wenn Sie nicht allein sind, werden Sie umgelegt. Das soll ich Ihnen extra von
ihr ausrichten. Sie hat viele Feinde innerhalb der Regierung und will mit
niemandem außer mit Ihnen sprechen. Außerdem will sie auch meine Sicherheit
gewährleisten. Sie dürfen der Polizei nicht mitteilen, daß ich der Kontaktmann
gewesen bin. Sonst soll ich der Polizei sagen, daß Sie dafür bezahlt worden
sind, den Revolutionären in ihrem Kampf gegen die Regierung zu helfen. Ich soll
ihnen sogar einen Beweis dafür aushändigen .«
»Den
Beweis haben Sie natürlich ?« fragte ich
sinnloserweise. Nach der Art und Weise, wie ich fortwährend ausmanövriert
wurde, durfte ich mich wahrscheinlich glücklich schätzen, wenn ich mich nicht
vor einem Erschießungskommando wiederfand, ohne zu wissen, wer überhaupt auf
mich anlegte.
»Ich
habe den Beweis, Señor .« Er nickte bedächtig. »Einen
Bankauszug auf Ihren Namen, der eine Bareinzahlung in Höhe von fünfzigtausend
Dollar bestätigt.«
»Ich
kann mir ein paar Leute vorstellen, denen dieser Beweis genügen würde«, sagte
ich niedergeschlagen.
Der
alte Mann grinste nur.
Ich
faltete das Blatt Papier auseinander: eine Straßenkarte von Santango und Umgebung. Das Ende einer Landstraße etwa zehn Meilen außerhalb der Stadt
war mit einem Kreuz markiert.
»Sie
sollen eine Stunde warten und dann von hier weggehen. Den Leuten, die das Haus
überwachen, sagen Sie, es hätte sich niemand gemeldet. Dann fahren Sie allein
zu Ihrem Treffpunkt mit Señorita Mendez .« Er räusperte
sich, hustete und spuckte den Auswurf in den Papierkorb neben dem Schreibtisch.
»Ich soll Sie extra darauf aufmerksam machen, daß Ihnen niemand auf dieser
Straße folgen kann, ohne gesehen zu werden. Sollte Ihnen jemand nachkommen,
wird Señorita Mendez nicht auf Sie warten .«
Ich
verkniff mir die Frage, wer dann statt dessen dort
sein würde. »Und was ist mit Ihnen ?« erkundigte ich
mich nur. »Ich meine, selbst wenn ich nichts sage, wie kommen Sie von hier weg ?«
»Warum
sollte ich weggehen, Señor Roberts ?« fragte er mit
betonter Unschuld. »Wie ich schon
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