Verräterische Lippen
sagte, ich bin der Hausmeister. Ich halte das
ganze Haus sauber — das ist meine Arbeit während der Nachtstunden. Tagsüber
wohne ich unten im Kellergeschoß .« Sein schlaffer Mund
verzog sich zu einem so breiten, zahnlosen Grinsen, als hätte er mir gerade
einen guten Witz erzählt.
Wahrscheinlich
hatte er nicht erwartet, daß ich lachen würde. Aber ich lachte trotzdem. Der
Gedanke, daß Juarez draußen in der kühlen Morgenluft wartete, war erheiternd
genug.
Aber
dann kam mir ein ernüchternder Gedanke: ich sollte zehn Meilen in eine
unbekannte Wildnis hinausfahren, um eine Frau zu treffen, die ich vor Stunden
bereits gerettet hatte und die womöglich nicht einmal dort sein würde. Das
einzige, auf das ich mich dabei verlassen konnte, war die Geschichte eines
alten Mannes.
Mein
nächster Gedanke war absolut lächerlich: entweder war ich ein Held oder ein
verdammter Idiot.
8
Die
Straße war staubig. Bräunliche Wolken wirbelten hinter mir auf, als ich
verwegen Señorita Mendez entgegenraste.
Der
Wagen, den ich fuhr, war der große, schwarze, amerikanische Schlitten, dessen
Zündschlüssel mir der schmale Mann mit dem empfindsamen Gesicht hinterlassen
hatte. Wenn die Limousine ohnehin mit einem vollen Tank herumstand, hatte ich
mir gedacht, warum sollte ich sie nicht benutzen?
Am
Ende der Straße türmte sich viel Geröll an den Wänden einer engen Schlucht.
Zwischen den Felsspalten wucherte dorniges Gestrüpp. Die ganze Gegend wirkte
öde und verlassen.
Ich
stieg aus und schaute mich um. Die Straße verschwand hinter einer Kurve. Um
mich herum waren nur die kahlen, roten Felsen. Ich tastete nach der Pistole in
meiner Tasche, aber auch sie gewährte mir nicht viel Trost. Ich fühlte mich
genauso einsam wie zuvor.
Warten
und aufpassen — mehr konnte ich nicht tun. Während ich mich lässig gegen den
Kotflügel des Wagens lehnte, bemühte ich mich, entspannt zu wirken. Eine Kunst,
die jeder Detektiv beherrscht, der sein Geld wert ist.
Nur
leider war ich kein Detektiv, sondern ein Rechtsanwalt mit der fatalen Neigung,
sich immer wieder auf Situationen einzulassen, die eigentlich gar nicht seinem
Berufsbild entsprachen.
Señorita
Mendez tauchte unvermittelt aus einer Felswand auf. Obwohl ich sie sofort
bemerkte, versetzte mir ihr Anblick einen Schock.
»Señor
Roberts.« Sie lächelte, von der grellen Sonne geblendet. »Ich muß mich
entschuldigen, daß ich Ihnen vergangene Nacht nicht für meine Rettung gedankt
habe. Es war nicht gerade höflich von mir, einfach so zu verschwinden — aber es
mußte sein .«
»Das
ist genau die Art von Trick, die es, als ich noch Kind war, immer im Kino gab«,
sagte ich bewundernd. »Die schöne, geheimnisvolle Dame nimmt vor den Augen des
verblüfften Helden Gestalt an. Anschließend stellt sich dann heraus, daß sie
bloß in einer verborgenen Höhle mit Schiebetür versteckt war .«
Sie
lachte. »Keine Schiebetür, nur ein gut getarnter Eingang.« Sie deutete hinter
sich. »Es kommt auf den Blickwinkel an. Wären Sie dort hinübergegangen, hätten
Sie die Öffnung gesehen .«
»Ich
akzeptiere Ihre Erklärung, bin aber enttäuscht. Ich habe mir immer gewünscht,
einmal den Mechanismus dieser Schiebetüren kennenzulernen. Wo ist übrigens Ihre
Maske ?«
»Meine
Maske?«
»Die
geheimnisvollen Damen, die in den verborgenen Höhlen lauerten, trugen immer
Masken«, erläuterte ich.
»Ich
bin keine geheimnisvolle Dame«, erwiderte sie schlicht.
»Für
mich doch. Warum sind Sie vergangene Nacht weggelaufen ?«
»Ich
hatte Angst .«
»Sie
scheinen mir nicht der Typ von Frau zu sein, der schnell Angst bekommt .«
»Diese
Schüsse...« Sie hob mit einer hilflosen Geste die Hände. »Ich bin trotzdem nur eineFrau , Señor Roberts .«
»Dem
kann ich nicht widersprechen .« Ich ließ den Blick über
ihre Gestalt schweifen. Die schwarze, hautenge Hose ließ das faszinierende
Muskelspiel ihrer Schenkel erkennen, als sie auf den Wagen zukam. »Verraten Sie
mir aber bitte doch, was Sie vergangene Nacht verscheucht hat .« Als Oberteil trug sie eine schwarze Baumwollbluse und eine kurze, braune
Wildlederweste mit Fransen. Obwohl alle Kleidungsstücke derb und praktisch
waren, wirkten sie an ihrem Körper weiblich und sexy.
»Sie
nehmen mir die erschrockene Frau nicht ab, Señor Roberts ?«
»Wenn
ich das täte, würde ich Sie kaum nach dem wahren Grund fragen«, entgegnete ich
logisch.
Sie
warf den Kopf zurück und musterte mich belustigt. Ihr Haar glänzte
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