Verrat in Freistatt
Schatten und ließ die Nachtlichter nach Hause eilen. Es war still auf den Straßen von Freistatt. Scharen von Seevögeln schwärmten lautlos über der Stadt oder stoben plötzlich davon, als sich ein Fenster nach dem anderen öffnete und die Nachttöpfe auf die Straßen geleert wurden. Ein beladener Mönch mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze kletterte aus einem Obergeschoßfenster eines Gasthofs und verschwand durch eine noch dunkle Gasse. Der kurze Augenblick beschaulichen Zaubers verschwand; der Tag hatte begonnen. Die Werkstatt des Metallmeisters Balustrus war die erste im Waffenschmiedviertel, in der sich etwas regte. Eine junge Frau öffnete die obere Hälfte einer Haustür und plagte sich, einen riesigen, schmutzigbraunen Abfalleimer auf die Schulter zu heben. Sie erstarrte und hätte den übelriechenden Kübel fast fallengelassen, als ein Mann aus der Düsternis trat. Er trug eine Mönchskutte, doch die Kapuze war ihm vom Kopf gerutscht. Ein Kriegerreifen hielt sein strohblondes Haar aus der Stirn.
Walegrin hatte sich drei Tage ausgeruht und längst den Wüstenstaub vom Gesicht gewaschen, trotzdem war er immer noch eine beeindruckende Figur, die einem leicht Furcht einflößen konnte. Die Frau japste unwillkürlich, als er ihr den Eimer abnahm und ein Stück forttrug, ehe er ihn ausleerte. Dann kehrte er zur Tür zurück, und nun stand der Metallmeister selbst dort.
»Walegrin, nicht wahr?«
Wenn der junge Soldat furchteinflößend war, so wirkte Balustrus zweifellos dämonisch. Seine Haut war von der Farbe fleckiger Bronze - nicht braun, nicht gold, nicht grün - ja scheinbar nicht einmal menschlich. Sie war schrumpelig wie Dörrobst, glänzte jedoch wie Metall. Er war haarlos, und seine Züge verloren sich in der faltigen Haut. Wenn er lächelte -als er Walegrin ansah -, verschwanden seine Augen beinahe.
Walegrin schluckte schwer. »Ich komme mit einem Auftrag zu Euch.«
»So früh?« tadelte der bronzene Mann. »Aber da Ihr schon einmal da seid, tretet ein. Ein Soldat in Mönchskutte ist auch zum Frühstück eingeladen.« Er humpelte von der Tür zurück.
Walegrin hob seinen abgestellten Sack auf und folgte Balustrus in die Werkstatt. Eine einsame Öllampe über einem Tisch warf flackernde Schatten auf das Gesicht des Metallmeisters. Er lehnte seine eisernen Krücken an die Wand hinter dem Tisch und schien nun regelrecht zu schweben. Walegrins Augen paßten sich dem gedämpfteren Licht an. Er sah die an die Wand geheftete Preisliste und Muster aus Bronze, Eisen, Zinn und Stahl. Nun sah er auch den sattelähnlichen Sitz, in dem der Metallmeister thronte. Trotzdem blieb sein erster Eindruck dieses ihm unheimlichen Ortes, und er hätte ihn am liebsten verlassen.
»Sagt mir, was Ihr in Eurem Sack habt und weshalb es mich interessieren sollte«, forderte Balustrus ihn auf.
Walegrin zwang sich, ihn nicht anzustarren, sondern den Sack auf die Tischplatte zu heben. »Ich habe das Geheimnis des Stahls von Enlibar gefunden ...«
Der Bronzemann schüttelte sich vor Lachen. »Welches Geheimnis? Es gibt kein Geheimnis des Enlibarstahls, mein Junge. Jeder Narr kann Enlibarstahl herstellen - wenn er Enlibarerz hat und etwas von ilsiger Alchimie versteht.«
Walegrin öffnete die Sackverschnürung und leerte das blaugrüne Erz auf den Tisch. Balustrus hörte zu lachen auf. Aufgeregt griff er nach einem Erzklumpen und unterzog ihn einer Untersuchung, bei der er ihn nicht nur mit einem kleinen Holzhammer abkopfte, sondern ihn auch mit der Zungenspitze beleckte.
»Ja!« Der greise Metallmeister gurrte schier. »Das ist es! Erhitzt und gehämmert und gehärtet wird es zu Stahl! Seit der letzte Alchimist von Ilsig zur Ruhe gebettet wurde, gab es keinen Stahl mehr wie den, den ich machen werde!«
Was immer Balustrus sonst sein mochte, wahnsinnig war er bestimmt. Walegrin hatte seinen Namen zum erstenmal in der Bibliothek von Coombs erfahren, aus der auch die enlibrische Tonscherbe stammte. Illyra hatte sie ihm gedeutet. Kemren, der Purpurmagier, der die Inschrift für ihn hätte lesen sollen, und Balustrus, der den Stahl herzustellen vermochte, lebten beide in Freistatt. Kemren allerdings war bereits tot gewesen, als Walegrin in der Stadt anlangte, Balustrus glücklicherweise nicht.
Man erzählte sich, daß der Metallmeister schon wahnsinnig gewesen war, als er sich in der Stadt niederließ, und in Freistatt war noch niemand besser geworden. Er behauptete, alles über jede Art von Metall zu wissen, aber er
Weitere Kostenlose Bücher