Verrat in Paris
Doch das Haus wie auch die gesamte Straße schienen sich einer Verschönerung zu widersetzen. Es sei die Schuld der Mieter, erklärte Herr Zamir, als er mit ihnen die beiden Treppen ins Dachgeschoss hochstieg. Was soll man gegen Mieter tun, die ihren Kindern alles erlauben? Seinem Äußeren nach zu urteilen, war Zamir ein erfolgreicher Geschäftsmann, dessen maßgeschneiderter Anzug und exzellentes Englisch auf eine reiche Herkunft schließen ließen. In dem Haus lebten vier Familien, sagte er, die alle immer pünktlich die Miete zahlten. In der Dachwohnung lebte allerdings niemand – es habe die ganzen Jahre Probleme gegeben, sie zu vermieten. Natürlich hatten sich immer wieder Leute die Wohnung angesehen, aber wenn sie von dem Mord hörten, war ihr Interesse ganz schnell erloschen. Dieser alberne Aberglaube! Oh, die Menschen behaupteten alle, sie glaubten nicht an Gespenster, aber wenn sie dann in ein Zimmer kamen, in dem jemand gestorben war …
»Wie lange steht die Wohnung denn schon leer?« fragte Beryl.
»Seit einem Jahr. Seit ich das Haus gekauft habe. Und davor …« Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Vielleicht steht sie schon jahrelang leer.« Er schloss die Tür auf. »Sie können sich gern umsehen.«
Eine Woge muffiger Luft schlug ihnen entgegen, als sie die Tür öffneten – der Geruch eines Raums, der zu lange nicht gelüftet worden war. Es war kein unattraktives Zimmer. Die Sonne schien durch ein großes, schmutziges Fenster herein. Von hier oben konnte man auf die Rue Myrha schauen. Auf der Straße sah Beryl Kinder beim Fußballspielen. Die Wohnung war leer; es gab nur nackte Wände und einen kahlen Flur. Durch eine geöffnete Tür konnte man ins Bad sehen, sie sah ein angeschlagenes Waschbecken und angelaufene Armaturen.
Schweigend ging Beryl durch die Wohnung, ihr Blick schweifte über den Holzfußboden. Neben dem Fenster blieb sie stehen. Der Fleck war kaum mehr zu erkennen, geblieben war nur noch ein brauner Schimmer auf den Eichendielen. Wessen Blut ist das? fragte sie sich. Mums? Dads? Oder das von ihnen beiden? Sie schauderte, während ihr Blick auf den Fleck geheftet blieb.
»Ich habe versucht, den Fleck mit Sand zu entfernen«, unterbrach Zamir sie in ihren Gedanken. »Aber er ist zu tief im Holz drin. Immer, wenn ich denke, ich habe es geschafft, ist er nach ein paar Wochen wieder da.« Er seufzte. »Es macht den Leuten Angst, wissen sie. Den Mietern gefallen solche Erinnerungen im Fußboden nicht.«
Beryl schluckte und sah aus dem Fenster. Warum in dieser Straße? fragte sie sich. In diesem Zimmer? Warum gerade in diesem Zimmer in Paris?
Sie fragte leise: »Wem gehörte das Haus denn vorher, Herr Zamir? Ich meine, vor Ihnen?«
»Es gab viele Besitzer. Vor mir gehörte es einem Monsieur Rosenthal. Und vor ihm einem Monsieur Dudoit.«
»Zur Zeit des Mordes«, sagte Richard, »war der Besitzer ein gewisser Jacques Rideau. Kennen Sie ihn?«
»Nein, tut mir Leid. Das muss schon viele Jahre her sein.«
»Zwanzig.«
»Dann kenne ich ihn nicht.« Zamir ging zur Tür. »Ich lasse Sie jetzt allein. Wenn Sie Fragen haben, ich habe jetzt eine Weile in Nummer drei zu tun.«
Beryl hörte, wie der Mann die knarrenden Stufen hinunterstieg. Sie sah Richard an, der in einer Ecke stand und nachdenklich auf den Flur hinaussah. »Woran denkst du gerade?« fragte sie.
»An Inspektor Broussard. Wie er versuchte, uns etwas auf dem Foto zu zeigen. Die Stelle, auf die er getippt hat, muss irgendwo hier sein. Links von der Tür.«
»Hier ist nichts. Und auf dem Foto war auch nichts.«
»Das ist es ja gerade. Das schien ihn so verstört zu haben. Und dann noch die Sache mit der Aktentasche …«
»Die NATO-Akte«, sagte sie leise.
Er sah sie an. »Wie viel wisst ihr über Delphi?«
»Ich weiß nur, dass weder Mum noch Dad Delphi war. Sie wären nie zur anderen Seite übergelaufen.«
»Es gibt immer Gründe, überzulaufen.«
»Aber nicht für sie. Das Geld haben sie jedenfalls nicht gebraucht.«
»Haben sie mit den Kommunisten sympathisiert?«
»Die Tavistocks doch nicht!«
Er ging auf sie zu. Mit jedem seiner Schritte schien ihr Puls schneller zu werden. Er stand so nah vor ihr, dass sie sich beinahe bedroht fühlte. Wenn da nicht gleichzeitig ein aufregendes Prickeln gewesen wäre. Leise sagte er: »Es kann auch Erpressung gewesen sein.«
»Du meinst, sie hatten etwas zu verbergen.«
»Das hat doch jeder.«
»Aber nicht jeder wird deshalb zum Verräter.«
»Kommt auf das
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