Verrat in Paris
zerstören.«
»Und wie lautet die Botschaft?« erkundigte sich Richard.
Die Frau mit dem jungenhaft kurz geschnittenen Haar drehte sich zu ihm um und zeigte deutliches Interesse. »Die Botschaft«, sagte sie und sah Richard dabei intensiv an, »ist, dass Monogamie eine zerstörerische Einrichtung ist.«
»Das ist die Ehe, das stimmt«, brummte Reggie.
»Aber die freie Liebe«, führte die Frau weiter aus, »kennt keine Beschränkungen und steht allen Vergnügungen offen gegenüber – sie ist eine positive Kraft.«
»Ist das Anthonys Interpretation des Werks?« fragte Beryl.
»Das ist
meine
Interpretation.« Annika ließ ihren Blick zu Beryl wandern. »Sind Sie eine Freundin von Anthony?«
»Eine Bekannte. Ich kenne seine Mutter, Nina.«
»Wo ist Nina eigentlich?« wunderte sich Reggie. »Man würde doch erwarten, dass sie bei dieser
ruhmvollen
Veranstaltung für ihren
Darling
Anthony ganz vorne mit dabei ist.«
Beryl musste über Reggies Nachahmung von Nina lachen. Ja, wenn Queen Nina Publikum wollte, musste sie nur eine dieser edlen Veranstaltungen organisieren, und schon hätte sie ihr Publikum. Selbst die bedauernswerte Marie St. Pierre, eben erst aus dem Krankenhaus entlassen, durfte nicht fehlen. Marie stand mit Helena Vane zusammen, die beiden Frauen wirkten wie zwei Spatzen inmitten von lauter Pfauen. Es war klar zu erkennen, warum die beiden so gut befreundet waren; beide waren völlig unscheinbar, und beide waren unglücklich verheiratet. Dass es in den Ehen der beiden nicht gut lief, war heute Abend deutlich zu bemerken. Die Vanes gingen einander aus dem Weg: Helena stand in einer Ecke und feuerte mit ihren Blicken Giftpfeile durch den Raum, und Reggie hielt sich möglichst fern von ihr. Marie St. Pierres Mann war nicht einmal anwesend.
»Also das Werk rühmt die freie Liebe?« sagte Reggie und betrachtete die Plastik nun mit viel mehr Sympathie.
»So sehe ich es jedenfalls«, entgegnete Annika. »So sollten Mann und Frau sich lieben.«
»Damit bin ich einverstanden«, stimmte Reggie sofort zu. »Man sollte die Ehe verbieten.«
Die Galeristin sah Richard provozierend an. »Und was meinen Sie dazu, Mr ….?«
»Wolf«, sagte Richard. »Es tut mir Leid, ich sehe das nicht so.« Er nahm Beryls Arm. »Sie entschuldigen uns. Wir wollen uns noch den Rest der Ausstellung anschauen.«
Als er Beryl zur Wendeltreppe führte, flüsterte sie: »Oben ist nichts.«
»Ich will die oberen Stockwerke überprüfen.«
»Anthonys Werk ist nur im ersten Stock.«
»Ich habe gesehen, wie Nina vor ein paar Minuten nach oben schlüpfte. Ich will wissen, was sie da macht.«
Sie erklommen die Stufen zum zweiten Stockwerk der Galerie.
Von der Brüstung blickten sie hinunter auf die Menge im ersten Stock. Es war eine Schickimicki-Veranstaltung, überall hervorragend sitzende Frisuren und Seidengarderobe. Annika stand jetzt neben Anthony im Rampenlicht, und das Blitzlichtgewitter ging erneut los. Sie umarmten und küssten sich, während die Menge applaudierte.
»Ach, die freie Liebe«, seufzte Beryl. »Damit scheint Annika sich ja auszukennen.«
»Das würde ich auch so sehen.«
Beryl lächelte ihn hintergründig an. »Armer Richard. Er hat heute Abend Dienst und kann sich gar nicht amüsieren.«
»Leider nicht. Sie würde mich bei lebendigem Leib verspeisen. Wie bei der Statue.«
»Bist du denn nicht ein bisschen in Versuchung geraten?« Er sah sie amüsiert an. »Was hast du vor, Beryl?«
»Nichts.«
»Ich weiß genau, was du willst. Du willst mich testen. Du willst sichergehen, dass ich nicht so bin wie dein Chirurg. Der, wie du mir erzählt hast, an die freie Liebe glaubte.«
Beryls Lächeln verschwand augenblicklich. »Tue ich das?« fragte sie leise.
»Das ist dein Recht.« Er drückte ihre Hand und sah wieder hinunter auf die Menge. Er ist immer wachsam, passt immer auf mich auf, dachte sie. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Aber mein Herz? Ich weiß immer noch nicht …
In der unteren Galerie begann eine Zwei-Mann-Band zu spielen. Als die sanften Klänge von Flöte und Gitarre den Raum füllten, spürte Beryl, wie jemand sie beobachtete. Sie sah hinunter auf die Bronzestatuen und entdeckte Anthony Sutherland, der neben seiner Madonna mit Schakal stand. Er starrte sie an. Und der Ausdruck in seinen Augen war kalte Berechnung.
Instinktiv zog sie sich von der Brüstung zurück. »Was ist?« fragte Richard. »Anthony. Er sieht mich so komisch an.«
Aber da hatte sich Anthony schon abgewandt und
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