Verrat in Paris
Ein Franzose.«
Der Besitzer der Taverne lachte. »Franzosen, Holländer, das ist doch alles das Gleiche«, brummte er und schlurfte zurück in die Küche.
»Schon wieder eine Sackgasse«, murmelte Beryl. Sie nahm einen Schluck Retsina und verzog das Gesicht. »Wie kann jemand dieses Zeug trinken?«
»Manche mögen es sogar gern«, sagte Richard. »Man gewöhnt sich daran.«
»Dann gewöhne ich mich vielleicht beim nächsten Mal dran.« Sie schob ihr Glas weg und sah sich in dem schummrigen Gastraum um. Es war Mittagszeit, und die Passagiere des letzten Kreuzfahrtschiffes flohen vor der Hitze in die Taverne. In ihren Einkaufstüten hatten sie die typischen Mitbringsel: griechische Krüge, Fischermützen, Bauerntrachten. Angesichts des Gewirrs aus einem halben Dutzend Sprachen verstand Beryl, warum die Einheimischen einen Franzosen nicht von einem anderen Ausländer unterscheiden konnten. Die Ausländer kamen her, gaben ihr Geld aus und verschwanden wieder. Was lohnte es sich groß, mehr über sie zu wissen?
Der Wirt kam wieder aus der Küche. Er trug ein Tablett mit Calamari, das er auf dem Tisch absetzte, an dem eine deutsche Familie saß. Bevor er erneut verschwand, fragte Richard ihn: »Wer könnte diesen Franzosen denn kennen?«
»Sie verschwenden Ihre Zeit«, sagte der Wirt. »Ich sage Ihnen, auf dieser Insel gibt es keinen Rideau.«
»Er kam mit seiner Familie her«, erklärte Richard. »Mit seiner Frau und seinem Sohn. Der Junge müsste jetzt um die dreißig sein. Er heißt Gerard.«
Plötzlich fiel hinter dem Tresen mit lautem Geklapper ein Teller zu Boden. Die dunkeläugige Frau am Zapfhahn sah Richard fragend an. »Gerard?« sagte sie.
»Gerard Rideau«, sagte Richard. »Kennen Sie ihn?«
»Sie weiß gar nichts«, insistierte der Wirt und bedeutete der jungen Frau, in die Küche zu gehen.
»Da habe ich aber einen anderen Eindruck«, erwiderte Richard.
Die Frau sah ihn an, als ob sie nicht wüsste, was sie tun sollte, was sie sagen sollte.
»Wir kommen aus Paris«, sagte Beryl. »Es ist sehr wichtig, dass wir mit Gerards Vater sprechen.«
»Sie sind keine Franzosen«, stellte die Frau fest.
»Nein, ich bin Engländerin.« Beryl wies mit dem Kopf in Richards Richtung. »Und er ist Amerikaner.«
»Er sagte … Er sagte, vor einem Franzosen sollte ich mich in Acht nehmen.«
»Wer?«
»Gerard.«
»Er hat Recht, er muss vorsichtig sein«, bestätigte Richard. »Aber er sollte wissen, dass es noch gefährlicher für ihn geworden ist. Es könnten mehr Leute nach Paros kommen und nach seiner Familie fragen. Er muss
jetzt
mit uns sprechen.« Er deutete auf den Wirt. »Er ist Ihr Zeuge. Falls irgendwas schief geht.«
Die Frau zögerte, dann ging sie in die Küche. Kurz darauf war sie wieder da. »Er geht nicht ans Telefon«, sagte sie.
»Ich fahre Sie hin.«
Es war eine lange Fahrt über eine einsame, schlaglochreiche Straße zum Strand von Logaras. Staubwolken wehten durchs offene Fenster hinein und bedeckten das schwarze Haar der Fahrerin. Sie hieß Sofia und war auf der Insel geboren. Ihr Vater war der Manager des Hotels am Hafen; jetzt kümmerten sich ihre drei Brüder um das Geschäft. Sie würde es besser machen, dachte sie, aber natürlich war die Meinung einer Frau nichts wert, also arbeitete sie in Theos Taverne, grillte Calamari und rollte Weinblätter. Sie sprach vier Sprachen; das musste man, erklärte sie, wenn man in der Tourismusbranche überleben wollte.
»Woher kennen Sie Gerard?« fragte Beryl. »Wir sind befreundet«, lautete die Antwort. Ein Liebespaar, vermutete Beryl, als die Frau rot wurde.
»Seine Familie ist aus Frankreich«, sagte Sofia. »Seine Mutter starb vor fünf Jahren, aber sein Vater lebt noch. Allerdings heißen sie nicht Rideau. Vielleicht …« – sie sah sie hoffnungsvoll an – »suchen Sie nach einer anderen Familie?«
»Vermutlich haben sie ihren Namen geändert«, sagte Beryl. Sie parkten in der Nähe des Strands und gingen hinunter zum Wasser. »Da«, sagte Sofia und deutete auf ein Surfbrett, das in einiger Entfernung durchs Wasser glitt. »Das ist Gerard.« Sie winkte und rief ihm etwas auf Griechisch zu.
Sofort wendete das Surfbrett, das bunte Segel flatterte im Wind. Mit Rückenwind segelte Gerard auf den Strand zu. Er sah aus wie ein braungebrannter Adonis und zog das Brett auf den Sand.
»Gerard«, sagte Sofia, »diese Herrschaften suchen einen Mann namens Rideau. Ist das dein Vater?«
Sofort ließ Gerard das Surfbrett fallen. »Wir heißen
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