Verrat in Paris
sie sich aufzumuntern. Nie verliert er seine gute Laune.
Draußen dämmerte es gerade, und der morgendliche
Verkehrslärm schwoll an. Beryl, Richard und Daumier standen auf dem Bürgersteig, jeder von ihnen kurz vor dem
Zusammenbruch.
»Jordan ist jetzt sicher«, sagte Daumier. »Dafür sorge ich.«
»Ich möchte, dass er mehr als sicher ist«, entgegnete Beryl.
»Ich möchte, dass er da rauskommt.«
»Dafür müssen wir seine Unschuld beweisen.«
»Dann tun wir das eben«, sagte sie.
Daumier sah sie an, er hatte Ringe unter den Augen. Der freundliche Franzose, in dessen Gesicht die Jahre ihre Spuren hinterlassen hatten, wirkte plötzlich viel älter. Er sagte:
»Was Sie tun müssen, chérie, ist, auf der Hut sein. Und unsichtbar bleiben.« Er ging zu seinem Wagen. »Heute Abend reden wir weiter.«
Als Beryl und Richard in der Wohnung in Passy ankamen, war Beryl kurz vorm Einnicken. Das letzte bisschen Anspannung war gewichen, sie hatte keinerlei Energie mehr. Glücklicherweise schien wenigstens Richard noch voll da zu sein, dachte sie, als sie aus dem Wagen stieg. Wenn sie jetzt umkippte, könnte er sie die Treppen hochtragen.
Und das tat er im Prinzip auch. Er legte den Arm um sie und führte sie durch die Tür und den Flur entlang ins Schlafzimmer.
Dort setzte er sich zu ihr aufs Bett.
»Schlaf«, sagte er, »so lange du willst.«
»Eine Woche sollte reichen«, murmelte sie.
Er lächelte. Und obwohl die Müdigkeit ihr Wahrnehmungs-empfinden beeinträchtigte, fühlte sie wieder das Knistern zwischen ihnen. Trotz ihrer Erschöpfung spürte sie Verlangen in sich aufsteigen. Sie erinnerte sich daran, wie er ohne Hemd in der 149
Tür zu ihrem Schlafzimmer gestanden hatte. Sie dachte, es wäre sehr leicht, ihn jetzt in ihr Bett einzuladen, eine Umarmung, ein Kuss. Und dann viel, viel mehr. Mein Verstand ist schon ganz vernebelt, ich konzentriere mich nicht mehr auf die wirklich wichtigen Dinge. Ich sehe ihn an, rieche ihn und schon kann ich nichts anderes mehr denken, als dass ich ihn will.
Er küsste sie sacht auf die Stirn. »Ich bin direkt nebenan«, sagte er und verließ das Zimmer.
Sie war zu müde, um sich auszuziehen, und lag völlig bekleidet auf dem Bett. Draußen war es jetzt schon hell, und Verkehrslärm drang in ihr Zimmer. Sobald dieser Albtraum vorbei war, dachte sie, musste sie eine Weile auf Distanz zu ihm gehen. Um wieder sie selbst zu werden. Ja, das würde sie tun.
Sie würde sich in Chetwynd verstecken und darauf warten, dass diese wahnsinnige Anziehungskraft zwischen ihnen beiden verschwand.
Doch als sie die Augen schloss, kehrten die Bilder zurück, lebendiger und verführerischer als je zuvor. Sie folgten ihr in ihre Träume.
Richard schlief fünf Stunden und stand kurz vor Mittag auf. Er duschte, machte sich Eier und Toast und fühlte sich wieder fit.
Der Tag war zu kurz für die vielen Dinge, die zu erledigen waren; der Schlaf würde warten müssen.
Er schaute zu Beryl rein und sah, dass sie noch schlief. Gut.
Wenn sie aufwachen würde, sollte er von seiner Runde zurück sein. Und für den Fall, dass er noch nicht wieder da wäre, hinterließ er ihr eine Nachricht auf dem Nachttisch.
»Bin kurz weggegangen, aber um drei wieder da. R.« Dann legte er kurzerhand die Pistole daneben. Für den Fall, dass sie sie braucht, dachte er.
Nachdem er sich versichert hatte, dass die beiden Wachen noch da waren, verließ er die Wohnung und schloss die Tür 150
hinter sich ab.
Sein erster Stopp war die Rue Myrha, Hausnummer 66, das Gebäude, in dem Madeline und Bernard gestorben waren.
Er hatte sich den Bericht der Pariser Polizei noch einmal vorgenommen und wieder und wieder die Aussage des
Vermieters durchgelesen. Monsieur Rideau hatte behauptet, er habe die beiden Leichen am Nachmittag des 15. Juli 1973
gefunden und sofort die Polizei benachrichtigt. Bei der Befragung hatte er angegeben, dass die Dachwohnung an eine gewisse Mademoiselle Scarlatti vermietet war, die die Wohnung in unregelmäßigen Abständen nutzte und die Miete immer in bar bezahlte. Von Zeit zu Zeit hatte er aus der Wohnung Stöhnen und Wimmern und eine männliche Stimme gehört. Aber die einzige Person, die er jemals zu Gesicht bekam, war Mademoiselle Scarlatti, die er nicht genau beschreiben konnte, weil sie stets Kopftuch und Sonnenbrille trug. Trotzdem war Monsieur Rideau sicher, dass die tote Frau in der Wohnung die wollüstige Scarlatti war. Und der tote Mann? Der Vermieter hatte ihn noch nie
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