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Verrat in Paris

Verrat in Paris

Titel: Verrat in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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zugestoßen. Vielleicht konnte er Ihnen nicht mehr schreiben, obwohl er gern gewollt hätte.«
    Wieder zögerte sie.
    »Wenn ich nach Griechenland fahre, kann ich das für Sie herausfinden. Ich muss nur wissen, wie der Ort heißt.«
    Sie saß einen Moment nachdenklich da. Dann wischte sie dem Baby das Kinn ab. Sie sah ihre beiden anderen Kinder an, denen die Nase lief und die quengelten. Sie würde am liebsten fliehen, dachte Gerard. Sie wünscht, ihr Leben wäre anders verlaufen.
    Egal wie, aber anders. Und sie denkt an ihren Freund aus vergangenen Tagen und daran, wie es wohl für sie beide geworden wäre in der Villa am Meer …
    Sie stand auf und ging in ein anderes Zimmer. Kurz darauf kam sie zurück und legte einen kleinen Stapel Briefe auf den Tisch.
    Es waren nur vier – nicht gerade ein besonders starker Liebesbeweis. Alle steckten noch in den Umschlägen. Richard 154
    überflog ihren Inhalt und bemerkte die teenagerhafte Sehnsucht, mit der sie geschrieben waren. »Ich komme zu dir zurück. Ich werde dich immer lieben. Vergiss mich nicht …« Doch im vierten Brief war die Leidenschaft deutlich abgekühlt.
    Es gab keine Absenderadresse, weder in den Briefen noch auf den Umschlägen. Offensichtlich hatte man versucht, den Aufenthaltsort der Familie geheim zu halten. Aber auf einem der Umschläge war ganz deutlich der Poststempel zu lesen: Paros, Griechenland.
    Richard gab der Frau die Briefe zurück. Sie hielt sie einen Moment umklammert, als ob sie ihre Erinnerungen festhielte. Es ist so lange her, fast ein Leben lang, und was ist aus mir geworden …
    »Wenn Sie Gerard finden … Wenn er noch lebt«, sagte sie,
    »fragen Sie ihn …«
    »Ja?« sagte Richard sanft.
    Sie seufzte. »Fragen Sie ihn, ob er sich an mich erinnert.«
    »Das mache ich.«
    Sie hielt die Briefe immer noch fest. Dann legte sie sie seufzend zur Seite und begann erneut, das Baby zu füttern.

    Er hatte noch eine Sache zu erledigen, bevor er in die Wohnung zurückkehrte: das Pflegeheim Sacre Coeur.
    Es war eine sichtbar schlechtere Einrichtung als die, die Richard am Tag zuvor besucht hatte. Hier gab es keine Einzelzimmer, keine sanftmütigen Nonnen, die durch die Flure liefen. Das hier war nur unwesentlich besser als ein Gefängnis, ein überfülltes noch dazu. Pro Zimmer gab es drei oder vier Patienten, von denen nicht wenige ans Bett gefesselt waren. Julee Parmentier, François’ zurückgebliebene Schwester, bewohnte eines der schlimmsten Zimmer. Halb bekleidet lag sie auf einer Matratze mit Plastiküberzug. Sie trug schützende Fausthandschuhe; um 155
    ihre Hüfte war ein Gürtel geschlungen, der auf beiden Seiten des Betts befestigt war und ihr gerade genug Spielraum bot, dass sie sich umdrehen konnte. Aufsetzen konnte sie sich nicht. Sie schien Richards Anwesenheit kaum zu registrieren; stattdessen stöhnte sie und starrte unablässig an die Decke.
    »So ist sie seit vielen Jahren«, erklärte die Schwester. »Sie hatte mit zwölf Jahren einen Unfall. Sie fiel vom Baum und prallte mit dem Kopf auf Steine.«
    »Kann sie gar nicht sprechen? Gar nicht kommunizieren?«
    »Wenn ihr Bruder François da war, lächelte sie, sagte er. Er bestand darauf, sie lächeln gesehen zu haben. Aber …«
    Die Schwester zuckte die Achseln. »Ich habe nie was bemerkt.«
    »Hat er sie oft besucht?«
    »Jeden Tag. Immer um die gleiche Uhrzeit, um neun Uhr morgens. Er blieb bis zum Mittagessen, dann ging er zur Arbeit in die Galerie.«
    »Jeden Tag?«
    »Ja. Und sonntags blieb er länger – bis vier Uhr.«
    Richard sah die Frau im Bett an und versuchte sich
    vorzustellen, wie es für François gewesen sein musste, stundenlang in diesem Raum zu sitzen, mit diesen Geräuschen und diesem Geruch. Er hatte jede freie Minute bei seiner Schwester verbracht, ohne dass sie ihn auch nur erkannt hätte.
    »Es ist eine Tragödie«, sagte die Schwester. »François war ein guter Mensch.«
    Sie verließen das Zimmer und ließen die Mitleid erregende Gestalt auf ihrem Plastiklaken allein.
    »Was wird jetzt aus ihr?« fragte Richard. »Wird sich jetzt noch jemand um sie kümmern?«
    »Das spielt kaum noch eine Rolle.«
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    »Warum sagen Sie das?«
    »Ihre Nieren versagen.« Die Schwester sah den Flur entlang, zu Julee Parmentiers Zimmer, und schüttelte traurig den Kopf.
    »In ein, zwei Monaten ist sie tot.«

    »Aber Sie müssen doch wissen, wohin er gegangen ist«, beharrte Beryl.
    Der französische Agent zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Er hat es nicht

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