Verrat in Paris
vorkommen.
»Mein Vater«, erzählte Gerard beim Fahren, »spricht kein Englisch. Ich werde ihm erklären müssen, was Sie ihn fragen wollen. Vielleicht erinnert er sich nicht.«
»Ich bin mir sicher, dass er sich erinnert«, sagte Richard. »Es war der Grund, warum Sie damals Paris verließen.«
»Das war vor zwanzig Jahren. Es ist lange her.«
»Erinnern Sie sich denn?« fragte Beryl vom Rücksitz. »Sie waren damals wie alt? Fünfzehn, sechzehn?«
»Fünfzehn«, antwortete Gerard.
»Dann müssen Sie sich an die Rue Myrha 66 erinnern. Das Haus, in dem Sie gewohnt haben.«
Gerard hielt das Steuer fest, als sie auf eine ungeteerte Straße abbogen. »Ich weiß noch, dass die Polizei kam und sich die Dachgeschosswohnung ansehen wollte. Sie befragten meinen Vater. Eine Woche lang, jeden Tag.«
»Und die Frau, die die Wohnung gemietet hatte?« erkundigte sich Richard. »Ihr Name war Scarlatti. Erinnern Sie sich an sie?«
»Ja. Sie hatte einen Mann«, sagte Gerard. »Ich habe sie immer durch die Tür belauscht. Jeden Mittwoch. Die Geräusche, die sie machten!« Gerard schüttelte amüsiert den Kopf. »Das war sehr aufregend für einen Jungen in meinem Alter.«
»Also benutzte diese Mademoiselle Scarlatti die Wohnung als Liebesnest?« fragte Beryl.
»Sie war immer nur da, wenn sie Sex hatte.«
194
»Wie sahen die beiden aus?«
»Der Mann war groß – an mehr erinnere ich mich nicht. Die Frau hatte dunkle Haare. Sie trug immer ein Kopftuch und eine Sonnenbrille. Ich kann mich nicht genau an ihr Gesicht erinnern, aber ich weiß noch, dass sie ziemlich schön war.«
Wie meine Mutter, dachte Beryl. Irrte sie sich nicht vielleicht doch? War es tatsächlich ihre Mutter gewesen, die ihren Liebhaber in dieser heruntergekommenen Wohnung am Pigalle empfangen hatte?
Leise fragte sie: »War die Frau Engländerin?«
Gerard überlegte. »Könnte sein.«
»Aber Sie sind sich nicht sicher.«
»Ich war noch jung. Ich dachte, dass sie eine Ausländerin sei, aber ich hatte keine Vermutung, woher sie stammen könnte.
Nach den Morden hieß es dann, sie sei Engländerin gewesen.«
»Haben Sie die Leichen gesehen?«
Gerard schüttelte den Kopf. »Mein Vater hat es verboten.«
»Also war ihr Vater der Erste, der sie gesehen hat?« fragte Richard.
»Nein, das war der Mann.«
Richard sah Gerard überrascht an. »Welcher Mann?«
»Mademoiselle Scarlattis Liebhaber. Wir sahen, wie er die Stufen zum Dachgeschoss hinaufstieg. Dann kam er in Panik wieder heruntergerannt. Da ahnten wir, dass etwas nicht stimmte, und riefen die Polizei.«
»Was passierte mit dem Mann?«
»Er fuhr weg. Ich habe ihn nie wieder gesehen. Ich vermutete, er hatte Angst, dass man ihn beschuldigen könnte. Und dass er uns deshalb das Geld schickte.«
»Bestechungsgeld«, sagte Richard. »Das hatte ich vermutet.«
»Weil sie schweigen sollten?« fragte Beryl.
195
»Oder damit sie falsch aussagten.« Er fragte Gerard: »Wie bekamen Sie das Geld?«
»Ein Mann mit einer Aktentasche kam ein paar Stunden, nachdem man die Leichen entdeckt hatte, zu uns. Ich hatte ihn noch nie gesehen – ein kleiner, eher stämmiger Franzose. Er verschwand mit meinem Vater in einem Hinterzimmer. Ich habe nicht gehört, worüber sie geredet haben. Dann ging der kleine Mann wieder.«
»Und Ihr Vater hat nie mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Nein. Und er schärfte uns ein, dass wir der Polizei nichts davon sagen dürften.«
»Und Sie sind sicher, dass in der Aktentasche Geld war?«
»Was denn sonst?«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil wir auf einmal Sachen hatten. Neue Kleider, einen Fernseher. Und nicht viel später gingen wir dann nach Griechenland und kauften das Haus hier. Da, sehen Sie?« Er deutete auf eine ausgedehnte Villa mit rotem Dach, die in einiger Entfernung zu sehen war. Als sie näher kamen, sah Beryl die Bougainvillea, die an den weißgewaschenen Wänden emporrankte und über die überdachte Veranda kroch. Gleich unterhalb des Hauses schlugen die Wellen auf den einsamen Strand.
Sie parkten neben einem staubbedeckten Citroën und stiegen aus. Der Wind pfiff von der See her und trieb ihnen Sand ins Gesicht. Es war kein anderes Haus in Sichtweite, die Villa stand allein inmitten der Felsen auf einem kargen Hügel.
»Papa?« rief Gerard und erklomm die steinernen Stufen. Mit Schwung öffnete er das schmiedeeiserne Tor. »Papa?«
Keine Antwort.
Gerard öffnete die Eingangstür und betrat das Haus, Beryl und Richard folgten ihm. Ihre Schritte
Weitere Kostenlose Bücher