Verrat in Paris
Madeline sein, verrieten seine Augen.
»Im Moment würde ich sagen, die Unwissenheit ist
gefährlicher«, stellte Hugh fest. »Und wir müssen auch an Jordan denken. Ich habe Leute, die auf ihn aufpassen. Aber es besteht immer die Möglichkeit, dass etwas schief gehen kann.«
Es ist schon einiges schief gegangen, dachte Beryl und betrachtete durch die Autoscheibe die grauen und
heruntergekommenen Häuser Ostberlins.
Das Gefängnis war noch abstoßender – eine massive
Betonfestung, die von Elektrozäunen umgeben war. Höchste Sicherheitsstufe, stellte sie fest, als sie den Spießrutenlauf durch die Sicherheitsschleusen und Metalldetektoren begannen. Man hatte Onkel Hugh offensichtlich erwartet, schien sein Ansinnen allerdings eher lästig zu finden. Erst als sie das Büro des Gefängnisleiters betraten, wurde der Umgangston höflicher.
Becher mit heißem Tee wurden gereicht und den Männern Zigarren angeboten. Hugh nahm an; Richard lehnte ab.
»Bis vor kurzem war Leitner sehr unkooperativ«, erklärte der Beamte und zündete sich eine Zigarre an. »Zunächst bestritt er, überhaupt etwas mit der Sache zu tun zu haben. Aber unsere Akten über ihn beweisen das Gegenteil. Er war es, der für die Operationen in Paris zuständig war.«
»Hat Leitner Namen genannt? Ist er genauer geworden?«
fragte Richard.
Der Leiter sah Richard durch die Wolke von Zigarrenrauch an.
»Sie waren beim CIA, richtig, Mr. Wolf?«
Richard nickte kurz. »Vor Jahren. Ich bin schon lange nicht 213
mehr im Geschäft.«
»Aber dann verstehen Sie, was es bedeutet, von seinen ehemaligen Partnern verfolgt zu werden.«
»Ja, das verstehe ich.«
Der Beamte stand auf und blickte aus dem Fenster auf den Stacheldraht. »Berlin ist voll von Leuten, die versuchen, vor ihrem eigenen Schatten davonzulaufen, vor ihrem alten Leben.
Ob es um Geld ging oder um Ideologie, sie arbeiteten für einen Herrn. Und jetzt ist dieser Herr tot, und sie verstecken sich vor der Vergangenheit.«
»Leitner ist schon im Gefängnis. Er hat nichts zu verlieren, wenn er mit uns spricht.«
»Aber die Leute, die für ihn arbeiteten – die noch nicht bekannt sind –, haben alles zu verlieren. Die Stasi-Akten können inzwischen eingesehen werden. Und jeden Tag kommen
neugierige Bürger und öffnen Akten und entdecken die Wahrheit. Und stellen fest, dass ihr Freund oder Ehemann oder Geliebter für den Feind gearbeitet hat.« Der Leiter des Gefängnisses drehte sich um und seine blassen blauen Augen richteten sich auf Richard. »Deswegen hat sich Leitner bisher geweigert, Namen zu nennen: um seine ehemaligen Agenten zu schützen.«
»Aber Sie sagten gerade, er ist neuerdings etwas
kooperativer?«
»In den letzten Wochen war er es.«
»Warum?«
Der Gefängnisleiter zögerte. »Herzprobleme, sagen die Ärzte.
Sein Herz macht es nicht mehr lange. In zwei, drei Monaten …«
Er zuckte die Schultern. »Leitner weiß, dass das Ende naht. Und für etwas Komfort ist er manchmal bereit zu reden.«
»Dann könnte er unsere Fragen eventuell beantworten.«
»Wenn er in Stimmung ist.« Der Beamte wandte sich zur Tür.
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»Also, sehen wir nach, in welcher Gemütsverfassung Herr Leitner sich heute befindet.«
Sie folgten ihm über die gesicherten Korridore, vorbei an fest installierten Kameras und grimmig dreinblickenden Wachen, ins Herz des Gebäudekomplexes. Hier gab es keine Fenster; selbst die Luft schien hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt zu sein. Von hier gibt es kein Entkommen, dachte Beryl. Nur durch den Tod.
Sie blieben vor einer Zelle mit der Nummer fünf stehen. Zwei Wärter, jeder mit einem eigenen Schlüssel, öffneten separate Schlösser. Die Tür öffnete sich.
Drinnen saß ein alter Mann auf einem Holzstuhl. Er hatte eine Sauerstoffmaske auf der Nase sitzen. Seine Gefängniskleidung –
gelbbraunes Hemd und Hose, kein Gürtel – war für den verfallenden Körper zu groß geworden. Das Neonlicht ließ sein Gesicht gelblich aussehen. Hinter dem Stuhl stand ein Sauerstofftank; außer dem zischenden Geräusch des Gases, das in seine Nasenlöcher strömte, war es still in der Zelle.
Der Gefängnisleiter begrüßte ihn: »Guten Tag, Heinrich.«
Leitner sagte nichts. Er quittierte den Gruß lediglich mit einem Augenblinzeln.
»Ich habe Lord Lovat aus England dabei. Sie kennen seinen Namen?«
Wieder blinzelte der alte Mann mit den blauen Augen. Und dann flüsterte er kaum hörbar: »MI 6.«
»Das stimmt«, sagte Hugh. »Inzwischen in
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