Verrat und Verführung
Dilettanten an. Da sind wahre Könner am Werk – an einem höchst einträglichen Werk.“
„Ja, das muss es wohl sein.“
„So lange es noch währen mag“, betonte Simon.
Wieder einmal gewann Christina den Eindruck, Seine Lordschaft würde sie warnen. Sie schaute zu ihrem Bruder hinüber, der am Buffet stand und sich gerade ein Glas Wein einschenkte.
Was soll ich tun? fragte sie sich verzweifelt. Am liebsten würde sie Lord Rockley die ganze schreckliche Geschichte erzählen … Dann würde er in den Tunnel hinabsteigen, Mark Buckley verhaften, und sie wäre endlich von ihrer Angst befreit. Doch sie wagte es nicht, denn der tückische Schurke würde trotz seiner Festnahme Mittel und Wege finden, um seine Morddrohungen wahr zu machen.
Lord Rockleys nächste Worte erinnerten sie an den düsteren Klang einer Totenglocke. „Allzu lange wird es nicht mehr dauern. Früher oder später begeht sogar der klügste, listenreichste Verbrecher einen Fehler.“
„Gewiss habt Ihr recht, Sir, und ich hoffe, Ihr werdet Euer Ziel erreichen. Und jetzt entschuldigt mich bitte. Als Gastgeberin bin ich verpflichtet, auch mit den anderen Gästen zu sprechen.“ Lächelnd fügte Christina hinzu: „Wie gesagt, Euer Besuch ehrt meinen Bruder. Aber was den Zweck Eures Aufenthalts in unserem Bezirk betrifft – ich fürchte, da kann er Euch nicht helfen. Genießt unser Fest, stärkt Euch mit Erfrischungen. Lasst Euch die Speisen schmecken. Wir beschäftigen einen ausgezeichneten Koch. In der Galerie neben dem Saal wird getanzt, und später findet ein spektakuläres Feuerwerk statt. Hoffentlich werdet Ihr Euch amüsieren.“
Höflich neigte Simon den Kopf. „Vielen Dank, dass Ihr einem Fremden gestattet, sich in Eurem Haus heimisch zu fühlen, Miss Atherton, Ihr seid überaus freundlich.“
„Oh, es ist mir ein Vergnügen, Euch zu dienen.“
Völlig unerwartet lachte er laut auf. „So wie gestern im Wald, wo wir ein Vergnügen teilten?“
Als er sie an den Kuss erinnerte, stieg ihr das Blut heißer denn je in die Wangen. „Bitte, vergesst, was geschehen ist, Sir!“, flehte sie. „In Eurer Nähe verlor ich den Kopf …“
So plötzlich, wie sein Gelächter begonnen hatte, verstummte es. Ernst und eindringlich, aber auch herausfordernd starrte er Christina an. „Jenen Kuss soll ich vergessen? Eure Augen, die sich verdunkelten? Den süßen Geschmack Eurer Lippen? Da verlangt Ihr zu viel.“
Ohne ein weiteres Wort verließ sie ihn – hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, noch mehr zu hören, und der Furcht vor den Gefühlen, die er entfachen würde. Ihre Gedanken gerieten in hellen Aufruhr.
Nein, sie durfte ihm nicht mehr zuhören, sein markantes Gesicht nicht länger betrachten, seine überwältigende maskuline Präsenz nicht so deutlich spüren, die ihre ohnehin schon verwirrte Seele noch zusätzlich durcheinanderbrachte. Sie begann zu zittern. Mühsam zwang sie sich zur Ruhe. Von nun an musste sie stets bedenken, dass Lord Rockley ein Feind war, umso gefährlicher wegen seiner umwerfend attraktiven äußeren Erscheinung und seines Charmes.
Und da gewann sie eine bestürzende Erkenntnis – sie fand es unmöglich, ihn weiterhin zu hassen so wie früher, bevor sie gewusst hatte, wer er war.
2. KAPITEL
Vor dem Eingang zur Galerie blieb Christina stehen, um sich mit dem ortsansässigen Friedensrichter Sir John Cruckshank zu unterhalten. Der untersetzte kleine Gentleman hatte ein umgängliches, liebenswertes Wesen und einen unerschütterlichen Humor.
„Wie ich soeben sah, seid Ihr Lord Rockley schon begegnet, meine Liebe“, begann er, das runde Gesicht heftig gerötet. Die kunstvoll gekräuselte schwarze Perücke saß ein wenig schief auf seinem kahlen Kopf.
„Ja“, bestätigte sie. In der Tat, sie war ihm begegnet, diesem Mann mit dem Dolchblick, der Einfühlungsgabe eines Magiers, der Klugheit eines Genies und der Beharrlichkeit eines Bluthunds. Höflich lächelte sie, denn Sir John sollte keinesfalls merken, dass der illustre Gentleman sie nicht im Mindesten beeindruckte – was sie sich entschlossen einredete … „Heute Nacht ist er unser Gast. Da sein Haus weit entfernt liegt, kann er zu so später Stunde nicht zurückkehren. Ich hörte, er sei beim Militär gewesen.“
Sir John nickte. „Eine Zeit lang diente er unter Marlborough in den Spanischen Niederlanden. Nicht nur auf den Schlachtfeldern bewies er seine Talente, auch in politischer Hinsicht verfügt er über einen erstaunlichen Scharfsinn.“
Weitere Kostenlose Bücher