Verrat und Verführung
Er zog ein Taschentuch hervor, betupfte seine leicht verschwitzte Stirn und verströmte den schwachen Geruch von Schnupftabak.
Und über eine Arroganz im Überfluss, ergänzte Christina in ihren unfreundlichen Gedanken. Doch es gelang ihr nicht, die komplizierten Gefühle, die sie für den unwillkommenen Gast hegte, vollends zu unterdrücken. „Kennt Ihr ihn gut, Sir John?“
„Persönlich nicht allzu gut. Aber ich weiß einiges über ihn. So wie seine Onkel und sein Großvater ging er zum Militär. Im Gegensatz zum gewöhnlichen Soldaten hatte er keinerlei finanzielle Sorgen. Mit seinen einunddreißig Jahren blickt er auf eine beachtliche Karriere zurück. Marlborough hält sehr viel von ihm, und er drückte sein tiefes Bedauern über Lord Rockleys Entschluss aus, den Kriegsdienst zu quittieren.“
„Soviel ich gehört habe, steht Seine Lordschaft in einem geradezu Furcht einflößenden Ruf. Manche Leute vergleichen ihn sogar mit dem Teufel.“
„Ja, das stimmt. Zweifellos ist es günstig, wenn man auf dem Schlachtfeld seinen Feinden Angst und Schrecken einjagt. Der Mann ist eine Legende.“
„Warum?“
„Aus mehreren Gründen“, erklärte Sir John. „Wegen seiner außerordentlichen Tapferkeit und den großartigen Leistungen, über die kaum jemand informiert ist. Jedenfalls hängen sie mit Spionage und der Fähigkeit zusammen, den Feind aus der Reserve zu locken.“
„Sehr aufschlussreich“, meinte Christina lächelnd.
„Um das richtig zu verstehen, müsstet Ihr dem Militär angehören, meine Liebe. In diesen Kreisen rechnete man mit Lord Rockleys baldiger Beförderung zum Colonel. Aber dazu kam es nicht.“
„Wieso nicht? Was ist geschehen?“
„Nichts. Vor sechs Monaten beschloss er, die Armee zu verlassen, sich ein angenehmes Leben zu gönnen und dem Müßiggang zu frönen.“
„Die Mission, eine Straßenräuberbande aufzuspüren, würde ich nicht als Müßiggang bezeichnen, Sir John.“
„Da habt Ihr natürlich recht. Hoffen wir, Rockley wird diese unerquickliche Pflicht möglichst bald erfüllen und die verdammten Schurken zur Strecke bringen. Dann können wir endlich wieder reisen, ohne um Leib und Leben zu bangen. Für ein freundliches Wesen ist der Gentleman nicht bekannt, und meines Wissens gibt es niemanden, der sich für diese Mission besser eignen würde.“
Neugierig musterte Christina den korpulenten kleinen Friedensrichter. „Wie schätzt Ihr Lord Rockley ein, Sir John?“
„Nun, er ist ein formidabler, ungemein scharfsinniger Gegner. Sobald Rockley einen Mann für schuldig hält, heftet er sich an seine Fersen und bleibt ihm auf der Spur. Nichts vermag sein Opfer zu tun, um ihn abzuschütteln oder auf eine falsche Fährte zu lenken. Letzten Endes wird er den Schurken erwischen – und vernichten. Und das“, fügte Sir John hinzu und lachte leise, „ist der Grund, warum er diesen Auftrag erhielt. Allerdings hat er es auch aus persönlichen Gründen auf die Straßenräuber abgesehen.“
„Oh?“
„Vor etwa einem Jahr wurde die Reisekutsche seines Bruders und seiner Schwägerin von Buckleys Bande angegriffen. Sie hatten Freunde in Newbury besucht und kehrten zu später Stunde heim. Auch ihre kleine Tochter saß im Wagen. Wahrscheinlich war es eines der schlimmsten Verbrechen, das die Straßenräuber jemals begangen hatten. Rockleys Nichte und sein Bruder wurden angeschossen – das kleine Mädchen starb sofort, der Vater des armen Kindes wurde schwer verwundet.“ Seufzend schüttelte Sir John den Kopf. „Es war so grauenvoll.“
Christina starrte ihn ungläubig an. Was für eine schreckliche Tragödie … „Tut mir leid, das zu hören. Dieses Unglück muss Lord Rockley tief getroffen haben.“ Lebhaft konnte sie sich seine Trauer vorstellen, gefolgt von heißem Zorn gegen die Verbrecher, die seiner Familie ein so schweres Leid zugefügt hatten. Nur zu gut verstand sie, wie fest er entschlossen war, die Mörder seiner Nichte zu bestrafen.
„Gewiss, meine Liebe.“ Sir John wandte sich zur Tür, während die Leute ins Freie gingen. „Ah, bald wird das Feuerwerk beginnen. Entschuldigt mich, Miss Atherton. Jetzt muss ich meine Gemahlin suchen, denn ich habe ihr versprochen, einen Platz zu finden, wo sie das Spektakel ungehindert beobachten kann.“
Während Sir John davoneilte, erschien ein bedrückter William. Obwohl er sich um eine tapfere Miene bemühte, wusste Christina, dass ihn die gleiche Angst plagte wie sie selber. Aber er tat sein Bestes, um sich nicht
Weitere Kostenlose Bücher