Verrat und Verführung
wenige Minuten zuvor in sein Blickfeld geraten war, hatte sie ihn an eine frische Frühlingsbrise erinnert. Jetzt freute er sich an ihrer Schönheit, an den rosigen Wangen, denn er wusste, dass ihr nicht die Anstrengung des Ritts das Blut ins Gesicht trieb und sie zwang, den Blick zu senken. Nein, das lag einzig und allein an seiner Gegenwart.
Ein mutwilliges Funkeln in den Augen, neigte er sich zu ihr. „Gefiel Euch, was Ihr sehen konntet?“
Zögernd schaute sie ihn an. „Keine Ahnung, was Ihr meint, Sir …“
Ein breites Grinsen betonte den Kontrast zwischen gebräunter Haut und schneeweißen Zähnen. „Doch, das wisst Ihr ganz genau, Miss Atherton. Spielt nicht die fälschlich verdächtigte Unschuld! Ich wusste, wo Ihr vorhin wart – am Fluss.“
„Oh … ja … ich … tut mir leid. Zufällig gelangte ich dorthin. Da treffe ich um diese frühe Stunde nur selten andere Menschen. Verzeiht mir, wenn ich Euch beim Schwimmen gestört habe. Ich wollte nicht indiskret erscheinen. Und so ritt ich weiter.“
„Keine Bange, ich fühlte mich nicht gestört. Natürlich verstehe ich die Verlegenheit, die Euer bezauberndes Gesicht so reizvoll zeigt.“ Es war nicht nur ein Kompliment, sondern auch die ruhige, aufrichtige Feststellung einer Tatsache, was Christinas Herzschläge beschleunigte. „Warum habt Ihr Euch versteckt? Ihr hättet mit mir baden – oder wenigstens die Füße ins Wasser tauchen sollen.“
„Undenkbar! Was die Dienstboten sagen könnten, wenn ich nach Hause käme und mein nasses Haar würde mir um den Kopf hängen – ich schaudere, wenn ich mir das vorstelle!“
Er grinste. „Sicher wärt Ihr imstande, unbemerkt ins Haus zu schleichen.“
„Nein, unmöglich. Auf Oakbridge haben die Diener ihre Augen überall.“
Da Christina edle Pferde glühend bewunderte, wollte sie die Gelegenheit nutzen, um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Außerdem durfte sie nicht länger überlegen, wie attraktiv Lord Rockley mit dem feuchten dunklen Haar aussah.
„Allzu viel verstehe ich nicht von Pferden, Sir. Aber Ihr besitzt einen großartigen Hengst.“
Erfreut nickte er und streichelte den glänzenden Hals des Rappen. Mit der anderen Hand hielt er das Tier, das unruhig tänzelte, fest am Zügel. „Ich beglückwünsche Euch zu Eurem guten Geschmack, Miss Atherton.“ Dann fragte er zu ihrem Leidwesen: „Hoffentlich konntet Ihr nach der Störung letzte Nacht wieder einschlafen.“
„Ja, danke. Und Ihr?“
„Nun, ich schlief gut genug. Allerdings bin ich es gewöhnt, schon im Morgengrauen aufzustehen.“
„Zweifellos liegt das an Euren Erfahrungen während des Soldatenlebens.“
„So etwas Ähnliches. Und wie geht es Eurem Bruder heute Morgen? Sicher ist er verkatert.“
„Das nehme ich an. Aber ich habe ihn noch nicht gesehen. Falls es bei seinem üblichen Verhalten bleibt, werde ich ihn erst gegen Mittag zu Gesicht bekommen.“
„Ich fürchte, teilweise ist Henry daran schuld. Nachdem sich alle Eure Gäste verabschiedet hatten, ließ sich Euer Bruder von meinem Kammerdiener zu einem Zechgelage und einer Kartenpartie verleiten.“
„Im Allgemeinen muss man William nicht erst zu Kartenspielen oder übermäßigem Alkoholgenuss verleiten. In meinen Augen sind solche Beschäftigungen reine Zeitverschwendung.“
„Da bin ich ganz Eurer Meinung“, beteuerte Simon. „Es gibt so viele interessantere Dinge, die man tun kann – Diskussionen über den Zustand Englands, die politische Lage in Europa …“
„O nein, das würde William zu Tode langweilen“, fiel Christina ihm ins Wort und lachte leise. Bei bestem Willen konnte sie sich nicht vorstellen, ihr Bruder würde jemals über so ernsthafte Dinge debattieren.
„Ganz bestimmt kennt er sich mit den Besonderheiten dieser Gegend aus. Darüber würde er vielleicht sehr gern reden.“
Argwöhnisch schaute Christina ihn an. „Hat Eurer Kammerdiener so etwas erwähnt? Stammt er aus unserer Grafschaft?“
„Nein.“
„Dann begreife ich nicht, warum Henry sich für dergleichen interessieren sollte.“
„Da würdet Ihr staunen, Miss Atherton. Henry begeistert sich für zahlreiche Themen.“
Beunruhigt fragte sich Christina, was William in seinem betrunkenen Zustand mit Lord Rockleys Kammerdiener erörtert haben mochte. Wie viel hatte dieser raffinierte Kerl ihrem Bruder entlockt?
„Wie auch immer“, fuhr Simon fort, „ich bedauere, dass Lord Atherton zu solchen Eskapaden neigt. Für Euch ist es sicher nicht einfach, ganz
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