Verrat und Verführung
Womöglich war sein Gehirn von diesem heftigen Gefühl benebelt worden und hatte die Situation nicht klar erkannt. Jetzt erinnerte er sich, wie verzweifelt Christina ihre Unschuld beteuert und Buckley beschuldigt hatte, die Menschen nur zu benutzen, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Wütend hatte sie ihm vorgeworfen, er habe sie barbarisch behandelt.
Und Simon hatte ihre keine Gelegenheit zu weiteren Erklärungen gegeben. In seiner Fantasie erschien ihr Gesicht während jener Szene – so verwundbar, so angstvoll. Aus welchem Grund hatte sie das Black Swan Inn tatsächlich allein aufgesucht? Weil sie von Buckley erpresst worden war? Und wenn ja – warum?
In Sir John Cruckshanks Hof sprang er aus dem Sattel, reichte die Zügel seines Rappen einem Reitknecht und ging zum Haus. Dabei überlegte er, wie viel er dem Friedensrichter von den Ergebnissen seiner Nachforschungen, die Buckley betrafen, verraten sollte.
Ebenso wenig wie die anderen Bewohner dieses Bezirks wusste Sir John, wie töricht und leichtfertig Lord Atherton sich auf Geschäfte mit Buckley eingelassen hatte. Das musste der Friedensrichter auch gar nicht erfahren. Mit diesem Problem würde er selbst sich später befassen – falls Buckley geschnappt wurde und William denunzierte.
Und Lord Athertons Schwester? Von Gewissensqualen und schmerzlichen Schuldgefühlen bewegt, schwor er sich, sein Bestes zu tun, um sie aus allen Schwierigkeiten herauszuhalten.
Die nächsten Tage verbrachten William und Christina in ständiger Anspannung, während sie auf Neuigkeiten warteten. Beide nahmen an, man würde sie verhören oder verhaften, und die schlimmste Befürchtung galt Mark Buckley, der womöglich in Oakbridge auftauchen und grausame Rache für den vermeintlichen Verrat üben würde. Da nichts dergleichen geschah, atmeten sie ein wenig auf, glaubten aber keineswegs, sie hätten die Gefahr bereits überstanden.
Wie Christina es vorausgesehen hatte, versank William in tiefer Melancholie. Aus Angst vor Buckley reizbar und missgelaunt, verbrachte er den Großteil seiner Zeit in seinem Zimmer, oder er schlenderte ziellos durch das Haus. Entschieden weigerte er sich, auszugehen oder Besuche zu empfangen. Weil er jeden Moment damit rechnen würde, die Öffentlichkeit könnte von seiner Verstrickung in die Raubüberfälle erfahren, würde er die höhnischen oder vorwurfsvollen Blicke seiner Freunde und Nachbarn nicht ertragen. Womöglich würden sie sich sogar schadenfroh über ihn amüsieren. Immer wieder gab es Menschen, die sich am Elend anderer weideten.
Entschlossen bekämpfte Christina ihre Gefühle für Simon. Was sie mit ihm verbunden hatte, war einer plötzlichen, überwältigenden, unwiderstehlichen Leidenschaft entsprungen. Dabei hatte sie einen Teil seines Wesens kennengelernt, der sich hinter der weltgewandten, kühlen Fassade verbarg. Im Rückblick betrachtet, war es nicht so sehr der Liebesakt, der sie verwirrte, sondern Simons Verhalten danach. Er hatte sie einfach verlassen, auf eine Weise, die nicht wiedergutzumachen war, und das kränkte sie zutiefst.
Nun wünschte sie, er hätte sie niemals berührt. Zumindest wünschte sie, das würde sie tatsächlich bevorzugen. Denn sie konnte nicht aufhören, an seine geflüsterten Koseworte zu denken, an seine Hände auf ihrer Haut, die ihren verräterischen Körper so raffiniert in willfährige Lust versetzt hatten.
Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, ihn aus ihren Gedanken zu verdrängen. Nicht einmal im Schlaf fand sie den ersehnten Seelenfrieden, weil er in allen ihren Träumen die Hauptrolle spielte. Jede Einzelheit seiner bezwingenden Persönlichkeit kannte sie – das ausdrucksvolle Gesicht, den kraftvollen Körper, die Augen, den Hunger seiner Lippen – und wie er sich anfühlte, wie frisch er roch – wie betörend er küssen konnte. Lauter Dinge, über die sie nichts wissen sollte, die sie vergessen müsste …
Auf diese Weise verstrichen zwei Wochen, und die Tage begannen zu einem langen, ereignislosen Strom zu verschmelzen, den die Ankunft des Friedensrichters endlich unterbrach. Nachdem er sein Bedauern über Williams Unpässlichkeit bekundet hatte, nippte er zufrieden an seiner Teetasse und teilte Christina mit, Lord Rockley habe ihm in aller Entschiedenheit erklärt, es sei absurd, sie auf irgendwelche Weise mit Mark Buckley in Verbindung zu bringen. In dieser Angelegenheit würde man ihren Namen unter keinen Umständen nennen.
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